Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
großen Augen an. »Was soll denn das werden?«
»Sie kennen doch bestimmt unser neues Personalführungskonzept mit dem Titel ›Polizei – Futur hoch drei‹?«, lächelte Schneidt.
Morgenstern erinnerte sich vage. In der Monatszeitschrift der Polizeigewerkschaft war neulich etwas darüber gestanden, ziemlich kritisch, soweit er sich erinnerte. »Der gläserne Polizist« hatte die Überschrift gelautet. Gehorsam holte er sich seine Pfandtasse vom Nürnberger Christkindlesmarkt, Schneidt seinerseits füllte sich seine Tasse, auf der sein Vorname stand, umgeben von romantisch rankenden Rosenblüten. Morgenstern durfte sich zu seiner großen Erleichterung auf einen Stuhl setzen – die durchgesessene Psycho-Couch blieb ihm erspart. Schneidt nahm an seinem Schreibtisch Platz und blätterte in einem Ordner. Morgenstern wurde den Eindruck nicht los, auch sein Vorgesetzter müsste sich ins Modell »Futur hoch drei« erst noch einarbeiten.
»Wie geht’s?«, fragte Schneidt nach einer peinlich langen Pause.
»Äh … Danke, ganz gut, so weit.«
Schneidt starrte angestrengt auf ein Blatt Papier, das Morgenstern als Fragebogen identifizierte. Das konnte ja heiter werden. Schneidt räusperte sich: »Herr Morgenstern, wo sehen Sie sich in fünf Jahren?«
Sollte er ehrlich sein? Dann konnte die Antwort nur lauten: Sicher nicht hier in Ingolstadt, sondern am liebsten wieder in Nürnberg. Aber im Moment war Diplomatie gefragt. Also antwortete er: »Ich fühle mich hier pudelwohl, würde mich aber auch jeder Herausforderung an einer anderen Dienststelle stellen.«
Schneidt nickte wohlwollend und notierte sich die Antwort auf seinem Fragebogen.
»Welche Ziele wollen Sie kurzfristig und mittelfristig erreichen?«
Morgenstern überlegte, dann antwortete er: »Ich will kurzfristig den Mörder von Matthias Schreiber fassen, mittelfristig will ich dazu beitragen, diese Region zur sichersten in Bayern zu machen. Wir arbeiten daran, und wir wollen jeden Tag ein bisschen besser werden.«
Wo hatte er das nur her? Morgenstern war sich selbst nicht mehr geheuer. »Jeden Tag ein bisschen besser« – war das der Slogan von McDonald’s? Oder sagten das chinesische Rotgardisten bei der Verteidigung des Platzes des Himmlischen Friedens in Peking?
Schneidt schien mit der Antwort jedenfalls hochzufrieden. Bingo!
»Wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf bei der Ausrüstung?«
Morgenstern dachte an den betagten Dienstwagen, mit dem er und Hecht in den vergangenen Tagen durch die Region geeiert waren und der seit Kurzem ein Loch im Bodenblech hatte. Zweihundertfünfzigtausend Kilometer hatte die Kiste auf dem Tacho. Keiner wusste das besser als Schneidt selbst. Aber der Feigling hatte es noch nie gewagt, an höherer Stelle auf den Putz zu hauen und einen besseren Fuhrpark fürs Fußvolk einzufordern. Er selbst, der Herr Polizeidirektor, fuhr schließlich bereits einen nagelneuen Audi A6. Ein moderner Kaffeeautomat wäre auch nicht schlecht anstatt der privat mitgebrachten Billigmaschinen, die für die Produktion einer kleinen Tasse Filterkaffee röchelten und ächzten wie ein an chronischer Bronchitis leidender Seniorenheimbewohner der Pflegestufe IV .
Morgenstern ging auf Nummer sicher. »Mittelfristig könnte man an die Einführung von Navigationsgeräten denken, auch wenn die Kollegen die Region natürlich kennen wie ihre Westentasche. Ich selbst habe mit dem guten alten Shell-Atlas noch überall hingefunden.«
Was für eine scheußliche Schleimspur zog er hier durch Schneidts Büro, grübelte Morgenstern.
Doch schon ging es weiter. »Was würden Sie ändern, wenn Sie Vorgesetzter wären?«
Wie aus der Pistole geschossen kam Morgensterns Antwort: »Ich würde Ihre alte Couch ausmustern. Wer sich da reinsetzt, kommt nicht ohne Bandscheibenschaden wieder heraus.«
Schneidt blickte von seinem Blatt auf und begann lauthals zu lachen. »Sie mögen meine Couch nicht? Mein gutes altes Ausziehsofa! Wissen Sie, wie lange ich das schon habe? Das stand schon in meiner allerersten Wohnung, damals in den frühen Siebzigern. An diesem Sofa hängen schöne Erinnerungen.«
»Und ich möchte gar nicht wissen, was sich sonst noch alles im Lauf der Jahrzehnte angepappt hat«, konterte Morgenstern. Das Gespräch lief allmählich in seinem Sinne. Er bekam Oberwasser.
Auch Schneidt entspannte sich, und es dauerte nicht lange, dann war er bei der abschließenden Frage angekommen: »Haben Sie einen speziellen Wunsch?«
Morgenstern atmete tief durch.
Weitere Kostenlose Bücher