Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
zurück. Neugierig blickte er die Kommissare an. »Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Sie haben doch vorhin auch die alte Frau gesehen, die als Letzte hier war«, fragte Morgenstern. »Kannten Sie die?«
Die beiden Männer schüttelten den Kopf. »Wir sind nur ganz selten in Eichstätt. Diesen Auftrag haben wir bekommen, weil die engsten Angehörigen in Ingolstadt wohnen.«
»Schade«, sagte Morgenstern. Dann begann er langsam, die grobe Schnur zu öffnen, mit der die langen Stiele der Sonnenblumen sorgfältig umwickelt worden war. Als er fertig war, hielt er ein etwa fünfzig Zentimeter langes dünnes Hanfseil in der Hand.
Er fragte in die Runde: »Kann mir jemand erklären, was das sein soll? Das ist doch kein normales Band für einen Blumenstrauß. Die Blumen waren von der alten Dame, die zuletzt am Grab war.«
»Sie wird halt gerade nichts anderes zur Hand gehabt haben«, vermutete einer der Totengräber. »Aber besonders elegant ist das nicht. Wundert mich, dass sie die Kordel nicht gekürzt hat. Zwanzig Zentimeter hätten leicht gereicht. Vielleicht ist die Dame ein bisschen sonderbar auf ihre alten Tage.« Der Bestatter tippte sich vielsagend an die Schläfe. »Das kommt vor bei alten Leuten.«
»Aber sie hat gewartet, bis der Friedhof ganz leer war. Sie wollte unbeobachtet sein«, gab Hecht zu bedenken. »Vielleicht war Matthias Schreiber eine Jugendliebe von ihr, und keiner durfte wissen, dass sie ihm immer noch nachtrauert.«
Morgenstern sah seinen Kollegen überrascht an. »So romantisch hätte ich dich gar nicht eingeschätzt! – Tatsache ist jedenfalls, dass sie uns vermutlich etwas über Matthias Schreiber sagen kann, was auch immer. Aber genauso klar ist, dass wir einen Mörder suchen, der irgendwo da draußen mit einem Gewehr rumläuft. Und das kann diese alte Frau wohl kaum gewesen sein.«
Morgenstern reichte die Schnur an Hecht weiter, dann besah er sich den Blumenstrauß noch einmal auf der Suche nach einer angehängten Grußkarte mit ein paar erklärenden Abschiedsworten. Vergeblich. Mit einem Schulterzucken warf er die Blumen eine nach der anderen zurück ins Grab.
In Gedanken versunken verließen sie den Friedhof und gingen zum Domplatz, auf dem sich an diesem sonnigen frühherbstlichen Nachmittag Einheimische und Touristen in den Cafés drängten. Morgenstern fluchte, als er einen Strafzettel auf der Windschutzscheibe ihres Wagens entdeckte.
Doch Hecht hatte etwas Wichtigeres gesehen. »Schau mal da drüben, das ist sie doch, die Frau mit den Sonnenblumen.«
Tatsächlich: Die alte Dame kam quer über den Domplatz fast geradewegs auf sie zu. Die Kommissare taten so, als würden sie den Strafzettel studieren. Die Frau ging an ihnen vorbei; Morgenstern und Hecht ließen ihr dreißig Meter Vorsprung, dann folgten sie ihr.
»Wir könnten sie doch einfach aufhalten und fragen, was sie mit Schreiber zu tun hat«, flüsterte Hecht, doch Morgenstern wehrte ab.
»Ich habe so ein Gefühl, dass wir erst mal sehen sollten, wohin sie geht.«
»Na, hoffentlich wird das kein Wandertag«, unkte Hecht.
»Unser Pech wäre, wenn sie am Marktplatz in den Stadtlinienbus steigt und davonfährt«, meinte Morgenstern. »Aber dann fahren wir eben mit«, schob er gleich die Lösung des Problems nach.
Doch die Frau ging erhobenen Hauptes an der Bushaltestelle vorbei, passierte den prächtigen steinernen Brunnen, von dem huldvoll ganz in Bronze und überlebensgroß der heilige Willibald, der Gründer des Bistums Eichstätt, winkte, und bog am Hotel Adler rechts in eine kleine Seitengasse ab. Sie folgte einer weiteren Gasse, die bergauf führte.
»Die wohnt da oben irgendwo«, vermutete Morgenstern. Die beiden Kommissare waren dicht aufgerückt, um im Zickzack der Gassen nicht den Anschluss zu verlieren. Es ging an malerischen Häusern mit üppigem Blumenschmuck und Rosenstöcken vorbei; an einem kaum drei Meter schmalen, aber dafür umso höheren Häuschen las Morgenstern über dem Türstock die Inschrift: »Wer da bauet an der Gassen muss die Leute reden lassen.«
Für einen Moment hatte er das Gefühl, die alte Dame hätte die Verfolgung bemerkt, und vergrößerte sicherheitshalber den Abstand wieder. Nach zweihundert Metern standen die Ermittler an einem vertrauten Ort: im sonnendurchfluteten Hof des Klosters St. Walburg.
»Wo will sie jetzt wohl hin?«, fragte Hecht.
Die Frau lieferte die Antwort umgehend. Sie stieg die Steintreppe zum Grab der heiligen Walburga hinauf, trat ein und ließ die schwere
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