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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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Felder, in denen das Haus stand. Hinter einem verwilderten Gärtchen senkte sich das Land in mehreren Terrassen ab, als hätte jemand breite Stufen aus der Erde ausgehoben.
    Sie stiegen durch ein offenes Fenster im Erdgeschoss ins Haus, dann folgte Ayfer Annika durch Räume, die bestimmt schon sehr lange nicht mehr bewohnt wurden und die doch wirkten, als seien die Bewohner überstürzt abgereist. Auf dem Küchentisch lag eine aufgeschlagene Zeitung, auf einem Polstersessel vor dem offenen Kamin eine Strickarbeit. Es rochnach Schimmel und Staub, es war, als sei ein Leben mitten in der Bewegung erstarrt. Ayfer stellte sich die letzten Handlungen der Bewohner vor, sah ihre Handgriffe, hörte ihre Stimmen. Die Räume waren halbdunkel, die Scheiben nahezu blind vor Staub. Am Fuß der Treppe lag eine umgestürzte Vase auf dem verschrammten Parkett. An der Garderobe hingen ein Hut mit schmaler Krempe und eine Strickjacke. Aus einem Fenster in der oberen Etage konnten sie die Autobahnraststätte sehen und den Lastzug von Annikas Vater, der am Rand des Parkfeldes stand. Dort zog Klatschmohn rote Adern ins Feld.
    »Da schläft er«, sagte Annika und zeigte über die Felder hin, in die der Wind – das sahen sie aus dieser Perspektive – Schneisen gedrückt hatte.
    Annikas Hand stand über den Satz hinaus in der Luft, es blieb Ayfer nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie sie sie elegant einzog und auf den Fenstersims legte. Sie begriff, dass Annika ihren Körper wie ein Requisit benutzte und einsetzte. Sie spielt mir etwas vor, dachte sie, aber ich mache ja das Gleiche mit ihr, ich spiele, denn ich habe gelogen.
    »Hauptsache, wir haben uns gefunden.«
    Annikas Satz klang leichter, als er war. Weshalb wirke ich störrisch, wenn ich länger als nötig schweige, wunderte sich Ayfer, da erkannte sie, dass Annika gar keine Antwort erwartete.
    »Ich habe alles so gelassen, wie es war.«
    Annika hatte ihr erzählt, sie habe das verlassene Haus bei der vorletzten Fahrt entdeckt, ihr Vater wisse nichts davon, es sei ihr Geheimnis, das sie nun mit ihr teile. Sie standen da, wo die Sonne hinfiel und sich warm auf ihre Gesichter legte.
    »Ich könnte ewig hier bleiben«, sagte Annika.
    Die Matratze auf dem Doppelbett bewahrte den Abdruck eines Menschen. Es war sehr still, auf der Kommode stand eine Nippesfigur, ein Jäger, der in ein Horn blies, nicht größer als ein Fingerhut. Daneben lag ein angebissener Keks. Am Griff der Schranktür hing ein brauner Ledergurt, der Stoffschirm der Lampe war verformt, die Glühbirne herausgeschraubt.
    »Mich hättest du nicht anlügen müssen.«
    Annika trat einen Schritt zurück und wartete ab. Das Licht traf jetzt nur mehr eine Seite ihres Gesichtes. Sie war schön, mit Gold belegt, zumindest die linke Hälfte, ihre Hand öffnete sich, schloss sich. Ayfer kam sich ahnungslos vor und jung. Auf der Treppe hatten sich ihre Hände zufällig berührt, sie waren zusammengezuckt, zurückgeschreckt, beide.
    »Hier drin ist bestimmt einer gestorben.«
    »Hier im Haus?«, fragte Ayfer.
    »In diesem Zimmer! In dem Bett da.«
    Der Verkehr auf der Autobahn war nichts als ein stetes Rauschen, das gar nicht störte, es hätte ein Fluss sein können, der alles mit sich riss, was nicht niet- und nagelfest war. Ayfer dachte daran, Annika zu fragen, ob ihr Vater schnarche und was mit ihrer Mutter sei, wo sie lebe und mit wem und ob sie sie vermisse, aber sie schwieg. Die bestickte Gardine war gelb, bestimmt hatte der Mensch, der hinter ihnen im Bett gelegen hatte, der ganze Tage im Bett verbracht hatte, Kette geraucht.
    Schließlich löste sich Ayfer aus der Starre, die sie lähmte. Ihre Knochen knacksten. Sie hatte Gänsehaut, sie rieb sich den Arm. Man hörte das Rascheln des Weizens im Wind. InGedanken war sie schon eingezogen in das Haus, am Stadtrand von Plovdiv, blieb nur die Frage, mit wem? Sie trat ans Bett, legte sich darauf und öffnete die Arme, weil sie sich vorstellte, dass man das nur als Einladung verstehen konnte.

13
    Irgendwo in der Nähe rief ein Vogel, und sie hoben die Köpfe und sahen sich an. Der an- und absteigende Flötenton, klar und melodiös, passte nicht zum unruhigen See, der vom Wind gepeitscht wurde, der auch in den Bäumen rauschte und den Camper zum Schaukeln brachte, als wolle er ihn anheben und ins Wasser kippen.
    »Paps sagt, Vögel sind die besten Musiker«, sagte Emma und legte die Hand auf Prinz, der neben ihr am Boden schlief.
    »Stimmt doch«, sagte ihr Vater und strich

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