Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wald-Schrat

Titel: Wald-Schrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Talent hast. Ich habe natürlich überhaupt keins, denn ich bin nur zum Teil ein Mensch.« Seine natürlichen Faunengaben zählte er nicht als Talente.
    »Aber ich habe ein brauchbares Talent.«
    »Du hast doch gesagt – «
    »Ich zeig es dir.« Sie blickte auf die Hinterseite des Sitzes vor ihr. Darauf entstand ein Bild.
    »Aber das ist doch kein Punkt!«, staunte Forrest. »Das ist ein Bild.«
    »Es besteht aus vielen kleinen Punkten. Man nennt sie Dots. Alle haben unterschiedliche Farben und Lichtstärken. Zusammen ergeben sie ein Bild.«
    Er schaute sich das Bild genauer an und stellte fest, dass sie Recht hatte. Das Bild setzte sich aus einer Vielzahl winziger Punkte zusammen, die so eng beieinander standen, dass sie zu dem Bild verschmolzen. »Das ist tatsächlich ein gutes Talent. Ich dachte, du könntest nur einen einzigen Punkt auf die Wand werfen, das wäre wahrscheinlich wertlos.«
    »Nein, das Talent ist schon gut. Aber es nützt mir nichts.«
    »Warum nicht?«
    »Wegen der Lobomotive.«
    »Lokomotive, meinst du. Du klingst verschnupft, kommt das vom Weinen?«
    »Nein, es ist keine Lokomotive, sondern eine Lobomotive. Und weil ich hinter ihr festsitze, werde ich allmählich schwachsinnig.«
    »Schwachsinnig?«
    »So ist das bei der Lobotomie. Hast du die anderen Leute in dem Wagen hier nicht bemerkt?«
    »Die wie Puppen aussehen?«
    »Genau. Sie sehen wie Statuen aus, weil sie totale Lobotomie hinter sich haben; für sie gibt’s keine Hoffnung mehr – ihre Sinne sind so schwach geworden, dass sie sie völlig verloren haben. Aber ich bin noch nicht so weit, für mich gibt es also Hoffnung. Und weil ich noch Hoffnung habe, weine ich.« Und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wenn du das verstehst, ist es vermutlich schon zu spät. Die Lobotomie baut sich langsam auf. Mit jeder Runde der Lobomotive um das Schloss wird es schlimmer. Du bist noch ganz neu hier, du bist kaum verrückt. Allein deine Nähe macht mich weniger verrückt, wenigstens solange, bis wir beide überwältigt werden.«
    Allmählich begriff Forrest. »Je länger wir bleiben, desto schwachsinniger werden wir. Wegen der Lobomotive?«
    »Ja. Ich war schon fast hinüber, als du kamst, das hat mich zurückgeholt. Aber viel Zeit bleibt uns nicht.«
    »Dann müssen wir raus aus dem Zug, bevor es uns erwischt.«
    »Wir kommen aber nicht raus. Was glaubst du wohl, weshalb ich so weine?«
    »Das wusste ich nicht. Ich wollte dir nur helfen. Warum kommen wir nicht raus?«
    »Weil der Zug nicht anhält. Die Fenster lassen sich nicht öffnen und die Türen auch nicht. Aber selbst wenn wir sie aufmachen könnten, wäre der Zug immer noch viel zu schnell zum Abspringen.«
    Forrest sah aus dem Fenster. Die Wand zog mit atemberaubender Geschwindigkeit vorbei. Er blickte zur anderen Seite; der Graben sauste genauso schnell vorüber. »Aber für mich hat er angehalten.«
    »Er hält, um Leute einsteigen zu lassen, aber nicht, damit sie aussteigen können.«
    »Warum bist du nicht ausgestiegen, als er wegen mir angehalten hat?«
    »Das konnte ich nicht. Der Sicherheitsgurt hat mich festgehalten.«
    »Was für ein Sicherheitsgurt?« Forrest sah nichts dergleichen.
    »Der automatische Sicherheitsgurt. Er umfasst dich, sobald der Zug hält.«
    »Wenn jetzt also jemand einsteigen will, hält der Gurt mich auch fest?«
    »Genau. Jeder wird festgehalten, damit sich niemand verletzt.«
    »Aber das ist doch Schwachsinn!«
    »Eben.«
    »Na, dann müssen wir eben von den Sitzen aufstehen, während der Zug fährt, und ihn dann anhalten.«
    »Das habe ich schon versucht. Der Wagen ist abgeschlossen, man kommt nicht heraus. Die Lobomotive hält aber nicht an, solange nicht jeder angeschnallt ist.«
    Forrest ging eine Glühlampe auf. »Die Prüfung! Ich muss den Zug anhalten!«
    »Das meine ich auch«, stimmte Dot ihm zu, »aber ich wüsste nicht, wie.«
    »Und wenn ich es nicht rasch herausfinde, dann werde ich schwachsinnig und bin auch nur eine hirnlose Statue.«
    »Das ist wohl wahr.«
    Forrest dachte angestrengt nach. Er fühlte sich bereits ein wenig aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht, und dabei hatten sie erst eine oder höchstens zwei Runden hinter sich. Irgendeine Möglichkeit musste es geben, aus dem Zug zu kommen. Er brauchte sie nur zu finden. Und zwar bald.
    Doch zunächst sah er keinen Ausweg. Die spärliche Szenerie raste ein um das andere Mal vorüber. Selbst wenn es ihm gelang, ein Fenster oder eine Tür

Weitere Kostenlose Bücher