Walden Ein Leben mit der Natur
Grund des Sees eine eiserne Truhe liege, die er selbst gesehen habe. Manchmal tauche sie auf und treibe gegen das Ufer; wenn man sich ihr aber nähere, dann kehre sie ins tiefe Wasser zurück und verschwinde. Es freute mich, von dem alten Holzkanu zu hören, das die Stelle eines
Indianerkanus vertrat, die aus dem gleichen Material, aber von ungleich zierlicherer Bauart sind. Vielleicht war es einmal ein Baum am Ufer gewesen und dann gewissermaßen ins Wasser
gefallen, um ein Menschenleben lang als ideales Fahrzeug auf dem See zu dienen. Ich kann mich noch erinnern, viele große Baumstämme unklar auf dem Grunde des Sees liegen gesehen zu haben, als ich zum erstenmal in seine Tiefen blickte. Sie waren entweder vom Sturm umgelegt oder beim Holzschlagen auf dem Eis zurückgelassen worden, als das Holz noch billiger war. Doch jetzt sind sie weitgehend verschwunden.
Als ich zum erstenmal über den Waldensee ruderte, war er ganz und gar von dicken hohen Föhren und Eichenhölzern
eingeschlossen, und in manchen seiner kleinen Buchten waren die Bäume am Wasser von wilden Reben überwuchert, so daß Lauben entstanden, unter denen ein Boot hindurchfahren
konnte. Die Hügel, die seine Ufer bilden, sind so steil, daß der See, von seinem westlichen Ende aus gesehen, wie ein
Amphitheater wirkte, für irgendein Spektakel des Waldes. Als ich jünger war, habe ich so manche Stunde damit verbracht, mich, nachdem ich mein Boot in die Mitte gerudert hatte, auf dem See treiben zu lassen, wohin dem Zephyr es gefiel; ich lag dann einen ganzen Sommermorgen rücklings auf der Bank und träumte, solange bis das Boot auf Sand auflief und ich mich
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erhob, um festzustellen, an welches Ufer mich mein Schicksal verschlagen hatte - Tage, an denen Nichtstun die reizvollste und fruchtbarste Tätigkeit war. An vielen Vormittagen habe ich mich davongestohlen, weil ich den wert vollsten Teil des Tages lieber auf diese Weise verbringen mochte; denn ich war reich, wenn nicht an Geld, so doch an Sonnenstunden und
Sommertagen, mit denen ich verschwenderisch umging; und ich bedauere nicht, daß ich nicht mehr von ihnen in der Werkstatt oder am Lehrerpult verbrachte. Doch seit ich jene Ufer verließ, haben die Holzfäller sie immer weiter verwüstet.
Für viele Jahre wird man nicht mehr durch die Laubengänge des Waldes streifen können, wo man früher nur gelegentlich einen Blick auf das Wasser erhaschte. Meine Muse sei
entschuldigt, wenn sie fortan schweigt. Wie kann man erwarten, daß die Vögel singen, wenn ihre Haine abgeschlagen werden?
Nun sind die Baumstämme auf dem Grund, das alte Holzkanu, die finsteren Wälder ringsum verschwunden. Die
Ortsbewohner, die kaum noch wissen, wo der Waldensee liegt, beschäftigen sich in Gedanken damit, sein Wasser, das ihnen mindestens so heilig sein sollte wie den Indern das Wasser des Ganges, in Rohren in die Stadt zu leiten, um ihr Geschirr damit zu spülen! Anstatt an den See zu gehen, um zu baden oder daraus zu trinken, wollen sie sich ihren »Waiden« verdienen, indem sie den Wasserhahn aufdrehen oder einen Stöpsel
ziehen! Dieses teuflische Stahlroß, dessen ohrenbetäubendes Gewieher die ganze Gegend erfüllt, hat mit seinem
Hufgetrappel bereits die Boiling-Spring-Quelle getrübt. Auch am Ufer des Waldensees hat es schon die Bäume abgefressen, dieses Trojanische Pferd, mit tausend Mann in seinem Bauch, eingeschmuggelt von gewinnsüchtigen Griechen! Wo ist der Held des Landes, der Moore von Moore Hall, der ihm am Deep Cut entgegentritt und dieser aufgedunsenen Pest die rächende Lanze in die Rippen stößt?
Und doch hat sich von allem Geschaffenen, das ich kenne, der Waldensee am besten seine Reinheit bewahrt. Viele Menschen sind mit ihm verglichen worden, doch nur wenige haben diese Ehre verdient. Obwohl die Holzschläger erst diese, dann jene
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Stelle an seinem Ufer bloßgelegt, die irischen Arbeiter ihre Elendsbuden daran gebaut haben, die Eisenbahn in seine
Randgebiete eingedrungen und die Eisleute ihn einmal seiner Decke beraubt haben, ist er selbst unverändert geblieben. Sein Wasser ist das gleiche, das ich schon als Kind gesehen habe; die Veränderung liegt an mir. Von allen Wellenstürmen, die darüber hingegangen sind, ist ihm nicht eine einzige Furche geblieben, er bleibt immer jung. Wie ehedem kann ich eine Schwalbe auf ihn niedergleiten und ein Insekt heraufholen sehen. Auch heute abend hat er mich wieder beeindruckt, als ob ich ihn nicht seit mehr als zwanzig
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