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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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mitten im Wohnzimmer, sie hatten sein Blut vom Boden und sein Hirn von den Regalwänden gewischt. Und als ob das nicht schon genug wäre, war nun auch noch irgendein chilenischer Gangsterboss hinter einem Kunstwerk her, von dem sie nicht wussten, wo es sich befand. Ein Mensch, der angesichts des Wertes des Bildes garantiert, wahrscheinlich ohne mit der Wimper zu zucken, über Leichen gehen würde – über ihre Leichen!
    Emily fand, dass es an der Zeit war, die Polizei einzuschalten. Aber das mussten Janna oder Marie selbst tun. Wenn sie, Emily, es täte, wäre es Verrat. Auch wenn sie längst nicht mehr daran glaubte, dass sich der Tod von Frau Holtkamp auf Dauer verheimlichen ließ. Spätestens nach den Ferien würde es kompliziert werden, die Gerüchteküche würde brodeln und irgendwann würde der Klatsch die falschen Ohren erreichen, die erste Lehrerin würde misstrauisch werden . . . man würde Fragen stellen, das Jugendamt verständigen . . .
    Vielleicht hatte Janna recht und ihre einzige Chance war, dieses Bild zu finden und es zu Geld zu machen, zu viel Geld. Vielleicht konnten sie sich mit viel Geld sogar eine Scheingroßmutter oder eine Alibimutter engagieren, jemanden, der die Rolle der Erziehungsberechtigten vor den Behörden und den Lehrern spielte.
    So rotierten ihre Gedanken in immer unwirklicheren Szenarien und endeten doch immer wieder beim selben Punkt: Sie mussten dieses Bild finden.
    »Kann ich raus?«, fragte Moritz am nächsten Morgen nach dem Frühstück. Man merkte ihm die Langeweile deutlich an. Er trat von einem Fuß auf den anderen und zerrte an seinem T-Shirt.
    Janna und Marie sahen sich unsicher an.
    »Willst du vielleicht was malen?«, fragte Emily.
    »Ich weiß doch nicht, was«, klagte er.
    »Mal doch dein Lieblingstier. Oder mal einen Zoo...«
    »Ich will in den Zoo!«, quengelte Moritz prompt und Janna verdrehte die Augen
    »Am Samstag, okay«, versprach Emily, die Zoobesuche mochte. »Ich geh mit dir hin, versprochen, aber jetzt sei lieb und mal ein bisschen.«
    »Na gut«, stöhnte Moritz gönnerhaft und verzog sich nach oben, um seine Stifte zu holen.
    Als Moritz außer Hörweite war, sagte Emily zu Janna und Marie: »Könnt ihr nicht eure Mutter fragen, ob sie etwas von dem Bild weiß?«
    Janna und Marie sahen sich unsicher an.
    »Dann müssten wir ihr ja von Omas Tod erzählen.« Janna schüttelte den Kopf. »Wer weiß, was dann passiert.«
    Auch Marie schien von der Idee nicht sehr angetan, aber sie sagte leise zu Janna: »Wir sollten sie trotzdem mal wieder besuchen. Vielleicht ohne den Kurzen, was meinst du?«
    »Und wenn sie wieder so komisch ist wie beim letzten Mal?«
    »Dann ist sie eben komisch«, antwortete Marie trotzig. »Sie ist unsere Mutter, wir können nicht einfach so tun, als ob es sie nicht geben würde.«
    »Lass uns ein andermal darüber reden, okay?«, schlug Janna ungewohnt diplomatisch vor. »Im Augenblick haben wir dringendere Probleme.«
    Alle drei seufzten, dann fasste Emily Mut und sagte: »Und wenn wir doch die Polizei informieren?«
    »Und was willst du denen sagen? Dass Marie einen Mann erschossen hat?«
    »Marie ist nicht strafmündig und es war Notwehr«, antwortete Emily.
    »Was ist los, hast du Schiss?« Janna musterte Emily angriffslustig aus schmalen Augen.
    »Ja, stell dir vor, hab ich!«, fauchte Emily zurück. »Und das solltet ihr auch! Der Kerl hatte immerhin eine geladene Pistole bei sich und du warst es doch, die gesagt hat, dass er kurz davor stand, Ernst zu machen! Was, wenn bald wieder so einer hier auftaucht? Oder zwei oder drei. Wollt ihr die alle erschießen und im Wald verscharren?«
    »Ich will gar nichts«, schrie Janna. »Ich weiß nur, dass ich nicht wieder in so ein beschissenes Heim will.«
    »Besser ein Heim als tot«, entfuhr es Emily.
    »Ach ja?«, fauchte Janna. »Sagt bitte, wer? Miss Heile Welt? Bei dir lief doch bis jetzt alles glatt, du hast nicht mal eine Zahnspange!«
    Jetzt hatte Emily genug. »Hey, das zieht bei mir nicht mehr«, sagte sie wütend. »Nur weil meine Familie noch vorhanden ist, bin ich noch längst nicht dämlich! Und ich weiß, dass euer Plan nicht funktionieren wird.«
    »Ach, kannst du neuerdings hellsehen, dann melde dich bei Th e nex t Ur i Gelle r an«, entgegnete Janna und fügte bissig hinzu: »Und falls du dich erinnerst – du hast bei dem Ganzen schließlich mitgemacht.«
    Das wusste Emily sehr wohl. Damals – es schien eine Ewigkeit her zu sein – hatte Emily noch daran geglaubt,

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