Waldesruh
die zwei Bilder Schrott sind.«
»Nein, über den Schreibtisch, den Sekretär. Sie hat gesagt, sie hätte auch so einen und ihrer hätte sogar ein Geheimfach, erinnert ihr euch?«
Schon stürzten alle an den alten Sekretär. Das Möbel war aus rötlichem, matt schimmerndem Holz. Es besaß unten drei große Schubkästen, in der Mitte eine ausziehbare Schreibplatte und im oberen Teil diverse offene und geschlossene Fächer und kleine Schubladen.
Marie zog alle Schubladen heraus, Janna räumte die unteren Fächer leer.
»Lasst mich«, sagte Marie. Janna und Emily überließen ihr bereitwillig das Feld. Wenn jemand ein Geheimfach entdecken konnte, dann Marie.
»Ich würde es zuerst oben versuchen«, meinte Janna nur. Marie ging systematisch vor. Sie schickte Janna, damit sie ihr einen Zollstock und eine Taschenlampe holte. Sie vermaß die Fächer und Schubladen und verglich die Maße mit den Außenmaßen. Nirgends fehlten verdächtige Zentimeter. Mit schier unendlicher Geduld beschäftigte sich Marie mit den Fächern, drückte, schob, klopfte... nichts.
»Es muss unten sein«, sagte sie dann. Es dauerte nicht lange, dann ertastete sie hinter dem mittleren Schubkastenfach eine schmale Griffrille.
»Aha! Und wozu bist du denn da?«, murmelte Marie vor sich hin, ehe sie feststellte, dass sich das Brett mit der Rille seitlich verschieben ließ. Damit teilte sich die vermeintliche Rückwand und gab ein etwa fünf Zentimeter tiefes Fach frei.
»Eine doppelte Rückwand, wie simpel.« Marie klang beinahe enttäuscht.
»Und? Was ist?« Janna hielt es nicht mehr aus.
»Lampe!«
Marie fingerte in dem schmalen Fach herum und eine lederne Mappe kam zum Vorschein. Darin lagen drei kleinere weiße Briefumschläge sowie ein großer aus brauner Pappe. Janna nahm einen der weißen Briefumschläge in die Hand und rief: »Der ist ja an uns adressiert! Und die anderen auch! Die sind von Mama. Warum liegen die hier drin?«
»Keine Ahnung, mach sie auf«, sagte Marie. Janna griff nach dem Brieföffner und schlitzte die Umschläge auf.
Emily hielt sich zurück, erst als Janna die Briefe mit den Worten »So was Fieses« hingelegt hatte, fragte sie vorsichtig: »Was steht denn drin?«
»Ach, eigentlich nichts Besonderes. Dass es ihr allmählich besser geht, dass sie aufgehört hat zu trinken und stattdessen töpfert, dass sie uns vermisst und gerne hätte, dass wir sie besuchen«, fasste Janna zusammen, ehe ihr Gesicht zu einer Maske der Wut versteinerte. »Dieses Miststück hat uns die Briefe vorenthalten! Die kann froh sein, dass sie tot ist!«
Emily konnte Jannas Wut gut verstehen. Dennoch fand sie, dass jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt war, um die Versäumnisse ihrer Großmutter zu diskutieren. Jetzt ging es um das Bild, um Moritz und um die Entführer, die sich noch immer nicht gemeldet hatten.
»Sie wollte vielleicht nicht, dass wir wieder hinfahren«, sagte Marie leise. »Du weißt doch, das eine Mal... danach hat Moritz wochenlang Terz gemacht, auch in der Schule.«
»Aber wir beide hätten hinfahren können«, ereiferte sich Janna. »Oma hatte einfach kein Recht, mir meine Briefe zu unterschlagen, verflucht noch mal!«
»Es sind auch meine Briefe«, stellte Marie richtig. »Hier steht: Liebe Janna, liebe Marie, lieber Moritz!«
Emily bemerkte, dass Janna Tränen in den Augen hatte. Marie strich sich erschöpft über die Augen. »Genau! Moritz ist das Stichwort«, sagte sie drängend. »Janna, wir dürfen uns jetzt nicht ablenken lassen, egal, was Oma getan hat.«
»Ja, was ist in dem anderen Umschlag?«, fragte Emily.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon.
Janna raste zum Apparat. »Hallo?«, sagte sie atemlos. »Moritz?«
Emily und Marie beugten sich vor, um mithören zu können.
Eine heisere Männerstimme drang aus dem Hörer: »Wir wollen den Picasso! Und zwar sofort.«
»Aber wir wissen doch gar nicht, wo das Bild ist!«, rief Janna.
»Ihr habt Zeit bis morgen. Wir melden uns. Und keine Polizei, sonst bekommt ihr die Rotznase in Einzelteilen zurück, kapiert?«
»Kapiert«, sagte Janna, aber der Mann hatte schon aufgelegt.
Janna war wachsbleich.
»Und jetzt?«, fragte Marie.
»Das Bild muss her«, sagte Janna mit zusammengebissenen Zähnen. Sie holte tief Luft. »Wenigstens scheint er bis morgen einigermaßen sicher zu sein.«
Marie nickte. »Sie werden nicht riskieren, ihren Trumpf zu verlieren, oder?«
Emily schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht«, sagte sie sicherer, als sie sich
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