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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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fühlte. »Was ist denn jetzt mit dem braunen Umschlag?«
    Marie ging hinüber zum Couchtisch und leerte den Inhalt aus.
    »Volltreffer«, sagte sie.
    Zum Vorschein kamen etliche Papiere, darunter eine Schwarz-Weiß-Kopie des Bildes, außerdem eine Fotografie, die zwei uniformierte junge Männer zeigte. Sie standen nebeneinander und hatten sich gegenseitig die Arme auf die Schultern gelegt. Sie lächelten nicht, das Fotografieren war damals offenbar eine ernste Angelegenheit gewesen. Auf der Rückseite stand in einer verschnörkelten, schwer lesbaren Schrift: Franz Holtkamp, Heinrich Schillinger, 1937.
    Emily setzte sich aufs Sofa und griff nach einem weiteren Blatt. Es war der Brief eines Detektivbüros, der, mit Schreibmaschine getippt, an Frau Holtkamp adressiert war, die damals noch in Berlin gewohnt hatte.
     
    Detektei Fuchs
Inhaber: Jost Manke
Danckelmannstraße 54
Berlin-Charlottenburg
    15. Juni 1986
    Sehr geehrte Frau Holtkamp,
    gemäß Ihrem Auftrag vom 12. Mai 1986 möchte ich Ihnen heute folgendes Ergebnis meiner Recherchen mitteilen:
    Das im Besitz Ihres verstorbenen Mannes befindliche Bild des Malers Pablo Picasso mit dem Titel »Der Clochard« befand sich von 1910 bis 1940 im Besitz der Familie Weizenkorn, damals wohnhaft in Berlin-Zehlendorf, Potsdamer Straße 80. Die jüdische Familie W. ist im Herbst 1940 aus Berlin geflohen und über einige Umwege in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Ihr gesamter Besitz, darunter etliche Gemälde zeitgenössischer Künstler, wurde damals notverkauft bzw. von den Behörden beschlagnahmt. Beteiligt an dieser Beschlagnahme war unter anderem der Ihrem Ehemann bekannte Heinrich Schillinger. Wir gehen davon aus, dass Ihr Gatte das oben genannte Bild für Heinrich Schillinger in Verwahrung genommen hat, als dieser im Jahr 1944 an die Front berufen wurde. Die dem Naziregime sehr nahestehende Familie Schillinger emigrierte – man könnte auch sagen: floh – nach dem Krieg nach Chile, wo sie untertauchte.
    Nun zu Ihrem Anliegen: Es war mir möglich, die Adresse von Laura, der jüngeren der beiden Weizenkorn-Töchter ausfindig zu machen. Die Dame heißt inzwischen Laura Albay und ist wohnhaft in Washington D.C. Sie bat mich, Ihnen die Adresse ihres Anwalts zu geben, die diesem Schreiben beiliegt.
    Hochachtungsvoll,
    Ihr Jost Manke PS: Rechnung folgt Der nächste Brief war nur wenige Tage später datiert. Es war kein Original, sondern nur ein Durchschlag eines maschinengetippten Briefes, der an den besagten Anwalt in Washington adressiert und an Laura Albay gerichtet war:
    Berlin, den 25. Juni 1986
    Sehr geehrte Frau Albay, ich möchte mich Ihnen zunächst vorstellen: Mein Name ist Wilhelmine Holtkamp, geborene Gärtner. Ich wurde 1936 in Hannover geboren und habe 1961 in Berlin Franz Holtkamp geheiratet. Mein Mann war Jahrgang 1915 und damit über zwanzig Jahre älter als ich. Er verstarb am 18. April diesen Jahres.
    Kurz vor seinem Ableben hat er mit von dem Bild »Der Clochard« von Pablo Picasso erzählt, das er für einen gewissen Heinrich Schillinger aufbewahrt hat. Heinrich Schillinger, ein Mitglied der SA, floh nach dem Krieg vor der Gerichtsbarkeit der Alliierten nach Chile und hatte vorher keine Gelegenheit mehr, das Bild bei meinem Mann abzuholen. Offenbar hatten die beiden Männer danach keinen Kontakt mehr. Das Bild hat Schillinger jedenfalls bis jetzt nie zurückgefordert und es sind ja immerhin über vierzig Jahre seit Kriegsende vergangen.
    Da ich nicht annehme, dass Herr Schillinger das Bild von Ihrer Familie zu einem angemessenen Preis erworben hat, möchte ich es gerne an die rechtmäßigen Besitzer, also Ihre Familie, zurückgeben. Vielleicht haben Sie oder Ihr Anwalt in Deutschland eine Vertrauensperson, an die ich das Kunstwerk übergeben kann. Es lagert momentan im Schließfach eines Bankhauses.
    Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie oder Ihr Anwalt mit mir Kontakt aufnehmen könnten.
    Hochachtungsvoll,
    Ihre Wilhelmine Holtkamp »Verdammte Scheiße!«, fluchte Marie. »Sie hat es nicht mehr! Das glauben die uns nie!«
    »Jetzt verstehe ich langsam«, sagte Emily. »Deshalb war eure Großmutter so wütend auf ihren Mann, dass sie alle seine Fotos und seine Sachen weggeschmissen hat. Weil er für seinen Nazi-freund Schillinger ein Bild versteckt hat.«
    »Genau«, ergänzte Janna. »Ein Bild, das dieser Schillinger wahrscheinlich Juden gestohlen oder zu einem lächerlichen Preis abgekauft hat. Das kam damals sehr oft vor. Viele Nazis in

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