Waldmeister mit Sahne
dieses Mal schloss sich ihm Joachim an.
„Mi-a!“ Henriette klang mittlerweile etwas weinerlich, weil Micha sie nicht wie gewöhnlich auf den Arm nahm. Ihr Gesicht begann sich drohend zu verziehen. Joachim schloss für einen kurzen Moment die Augen und betete. Es half nicht. Eine Sekunde später heulte Henriette in einer Lautstärke los, dass man kein Wort mehr verstand.
„Still!“, zischte Vanessa das Kind an. „Henriette, sei still!“
Magda nahm ihr Henriette ab, was das Geschrei drastisch steigerte. Der Richter lehnte sich in seinem gepolsterten Stuhl zurück und beobachtete die Szene sichtlich interessiert.
„Mi-a!“, brüllte Henriette aus voller Lunge, während Rotz und Tränen liefen.
„Verflixte Kiste! Können Sie nicht einmal ein Kleinkind beruhigen?“ Micha hielt es nicht mehr auf seinem Platz. Er hastete zu Henriette hinüber und nahm sie einfach der protestierenden Magda ab. Henriette krallte sich an ihn und presste ihr Gesicht an seinen Anzug. Schlagartig herrschte Stille. Nur ein gelegentliches Schniefen drang noch durch den Saal.
„Danke.“ Der Richter räusperte sich. Irrte sich Joachim, oder lag da wirklich ein kleines Schmunzeln um seine Mundwinkel?
„Und wie soll die Betreuung sichergestellt werden?“
Dieses Mal meldete sich Ilse zu Wort: „Wenn Joachim und mein Sohn zur Arbeit müssen, löse ich sie daheim ab, wecke die Jungs und schicke sie zur Schule. Hennie nehme ich hinterher mit zu mir nach Hause. Dort bekommen die Kinder nach der Schule ihr Mittagessen und können im Garten spielen, bis Joachim sie am Nachmittag abholt.“
Weitere Notizen füllten das Papier des Richters.
„Als Nächstes würde ich gerne Lucas und Martin anhören. Bestehen seitens der Jugendhilfe dagegen Bedenken?“ Es folgte ein knappes Kopfschütteln und dann brachte eine Sozialarbeiterin die beiden Jungen in den Saal.
„Ich habe nur eine ganz simple Frage an euch beide. Wo möchtet ihr denn zukünftig wohnen?“
„Bei meinem Vater“, sagte Martin sofort. Lucas dagegen schwieg.
„Warum denn gerade dort?“, erkundigte sich der Richter.
„Ich kann meine Oma nicht leiden. Sie hackt dauernd auf meinem Vater herum und erzählt uns ständig, dass wir uns gut überlegen sollten, mit welchen Leuten wir uns treffen wollen.“ Martin drehte sich auf seinem Stuhl um und sagte zu seiner entgeisterten Großmutter: „Weißt du, Oma, Paps ist bloß schwul und hat nicht die Windpocken. Das ist nicht ansteckend. Außerdem hatten wir die Windpocken bereits.“
Joachim senkte schnell den Blick auf seine im Schoß verkrampften Hände und biss sich auf die Unterlippe.
„Wissen Sie, was Oma gesagt hat?“, fuhr Martin gnadenlos fort. „Dass unsere Mutter uns gar nicht gewollt hat und wir sogenannte Unfälle waren. Und sie würde dieses Sorgerecht nur beantragen, damit mein Vater sieht, was er nun vom Schwulsein hat.“
„Das habe ich nicht gesagt“, rief Magda aufgebracht.
„Doch, das hast du, Oma. Ich habe es genau gehört, wie du es zu Opa gesagt hattest, als ich mir etwas zu trinken holen wollte.“
Magda lief dunkelrot an, was sich mit ihrer Haarfarbe biss, und schnappte nach Luft.
„Also gut, ich habe begriffen, dass du zu deinem Vater möchtest, Martin. Und was ist mit dir, Lucas?“
Lucas hatte bislang geschwiegen. Jetzt sagte er schüchtern:
„Ich will zu Oma.“
Joachim sah überrascht auf und auch Martin starrte seinen Bruder ungläubig an.
„Du lügst! Ich weiß ganz genau, dass du das gar nicht willst“, schrie er Lucas wütend an und knuffte ihn unsanft.
„Wenn wir bei Oma wohnen, kann Papa mit Micha zusammen sein“, erklärte Lucas leise, aber deutlich.
„Lucas, ich ziehe demnächst bei euch ein“, meldete sich Micha zu Wort.
„Wirklich? Das ist ja toll!“ Deutlich zeigte sich die Begeisterung auf Lucas’ Gesicht.
„Herr Thiel, wären Sie mit einer Probezeit von einem halben Jahr unter Aufsicht einer Sozialarbeiterin einverstanden?“, fragte der Richter.
„Ja, natürlich. Sehr gerne.“ Joachim fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Damit hatten sie heute zwar keinen Sieg errungen, doch sie hatten sich eine faire Chance erkämpft.
„In Ordnung. Es ergeht also folgender Beschluss: Das Urteil wird um ein Vierteljahr verschoben. In dieser Zeit wird das Jugendamt prüfen, ob das Kindeswohl – wie vom Antragsteller angeführt – Schaden nimmt, wenn die Kinder beim Antragsgegner aufwachsen. Der Bericht des Sozialarbeiters ist dem Gericht zur Kenntnisnahme
Weitere Kostenlose Bücher