Waldos Lied (German Edition)
Doch alle waren überzeugt, dass das Kreuz den Dämon ausgetrieben hatte, der in ihn gefahren war.
Solche und ähnliche Geschichten gingen mir in dieser Nacht durch den Kopf und steigerten meine Angst immer mehr. Bald sah ich überall um mein Lager herum tanzende Dämonen. Dann fiel ich endlich in einen kurzen und unruhigen Schlaf. Als die Sonne mich weckte, schalt ich mich einen Narren und glaubte, das alles sei nichts als ein böser Traum gewesen Deshalb sprach ich mit niemandem darüber. Noch viele Tage später blickte ich immer wieder über meine Schulter zurück, weil ich das Gefühl hatte, ich würde verfolgt. Ich lauschte unwillkürlich genauer, wenn jemand sprach. Ich hoffte, die Stimme wiedererkennen zu können. Aber das geschah nie. So vergaß ich diesen Zwischenfall schließlich. Zumal ich mir auch nicht erklären konnte, was die Worte wohl bedeuten mochten. Ich wusste beim besten Willen nicht, welches Kreuz gemeint sein könnte.
Außerdem beanspruchten die kommenden Ereignisse meine gesamte Geistesgegenwart. Denn um ein Haar wäre der Herzog von Schwaben kurz darauf das Opfer eines Mordanschlags geworden.
Regenger, einer der Berater und engen Freunde des Königs, kam zu mir, nachdem Heinrich von Würzburg nach Worms abgereist war. Es war inzwischen kalt geworden, denn es war schon nach Allerheiligen. Trotzdem machte ich einen meiner täglichen Spaziergänge. Ich hatte diese Gewohnheit seit den Tagen auf der Harzburg im Sommer beibehalten. Die Festung hielt sich übrigens immer noch wacker gegen die Belagerer. Die Sachsen und Thüringer hatten trotz der Verhandlungen keineswegs in ihrem Bemühen nachgelassen, die verhassten königlichen Burgen in ihren Besitz zu bekommen, und so würde auch die Hasenburg bald fallen. Die Besatzung hatte kaum noch etwas zu essen. Und auch die Burg Vockenrode wankte. Nun war Königin Bertha in großer Gefahr. Heinrich hatte seine erneut schwangere Gemahlin dorthin in Sicherheit gebracht.
Ich war erstaunt, als ich Regenger zielstrebig auf mich zukommen sah. Normalerweise war jemand wie ich Luft für Leute seines Standes.
Noch überraschter war ich über seine ersten Worte. Er duzte mich nicht einmal, wie es sonst die Herren mit den Dienern tun, sondern sprach zu mir wie zu einem Mann von Rang. »Ich grüße Euch, Ratgeber Rudolfs von Schwaben. Nun, wie beurteilt Ihr das Verhalten Heinrichs, nachdem seine Abgesandten mit dem Beschluss der Fürsten aus Gerstungen zurückkamen? «
»Für einen Mann wie mich ist es nicht immer einfach, das Verhalten eines Königs zu deuten, Herr«, antwortete ich vorsichtig. Regenger stand dem König sehr nahe, lebte sogar zumeist mit ihm zusammen und teilte fast alle seine Unternehmungen, die guten wie die schlechten. Ich hatte das Gefühl, er wolle mich aushorchen. Er zeigte jedenfalls alle Anzeichen eines Mannes, der sehr beunruhigt ist. Seine hageren Wangen waren vor innerer Bewegung gerötet. Und immer wieder wischte er sich, ohne es zu merken, die Handflächen an seinem Gewand ab. Als er die Hände einmal hob, um seinen Worten zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, sah ich, dass sie zitterten.
Regenger gab sich alle Mühe, auf meinen unverbindlichen Ton einzugehen. Doch es gelang ihm nur unzureichend. »Nun, fandet Ihr es nicht ein wenig seltsam, wie schnell und widerspruchslos der König dieses Mal auf die Forderungen der Sachsen einging? Ja, dass er sogar gelobt hat, alle Bedingungen des Beschlusses bereitwillig zu erfüllen, wenn es nur Frieden gebe? Er hat seine Unterhändler sogar für ihre kluge Verhandlungsführung gelobt. Besonders dem Herzog von Schwaben erwies er deshalb große Ehren.«
Regenger hatte recht. Ein solches Verhalten sah gar nicht nach Heinrich aus. Er war allen Teilen des Beschlusses gefolgt wie ein Lamm seinem Hirten. Der König war vieles. Aber ein Lamm war er sicher nicht.
»Nun, vielleicht hörte er auf seine Ratgeber. Ihr seid der wichtigste von ihnen, wie ich weiß. « Wieder einmal übte ich mich in der Kunst, eine Antwort zu geben und doch nichts zu sagen. Und das auch noch mit ein wenig Schmeichelei zu verbinden. Ich lernte es langsam, mich zwischen den Nattern am Hofe des Königs zu behaupten.
Doch das war es nicht, was Regenger wollte, das erkannte ich an seinem Gesichtsausdruck. Inzwischen standen ihm sogar Schweißperlen auf der Stirn.
»Was ist mit Euch, seid Ihr krank? Ihr solltet Euch niederlegen, statt hier in der kalten Abendluft zu lustwandeln.«
Regenger ging nicht auf diese Bemerkung
Weitere Kostenlose Bücher