Waldstadt
den behäbig dasitzenden altgedienten Kommissar an und kam erst zum Stehen, als ihre schmale lange Nase kurz vor seinem Gesicht war.
»Haben Sie endlich was? In einer halben Stunde ist Pressekonferenz. Ich muss diesen Zeitungsfritzen endlich Ergebnisse präsentieren!«
Er lächelte, schaute ihr geradewegs in die Augen und sog deutlich hörbar Luft durch die Nasenlöcher. »Hm, Kampfparfüm, Frau Oberstaatsanwalt. Damit bringen Sie jeden Verdächtigen zum Reden.«
Konsterniert trat sie einen Schritt zurück.
»Wir warten auf Berichte«, warf Jan Sternberg schnell von der Seite her ein. »SpuSi, Obduktion ...«
Sie schnitt ihm das Wort ab: »Ich habe den da gefragt!« Ihr dolchspitzer Zeigefinger zielte auf den Kommissar. »So kommen wir nicht voran! Wenn Sie derart lahm weiterarbeiten, gibt es bald noch mehr Tote im Hardtwald!«
Lindt fand es an der Zeit aufzustehen und wuchtete sich hoch. »Hier drin, in diesem Büro, pflegen wir einen anderen Umgangston!«
Lea Frey verstummte für einen Augenblick.
Schnell legte er nach: »Bitte, nehmen Sie doch Platz. Wir hören Ihnen gerne zu.«
Conradi nutzte die Gelegenheit: »Um eine Sonderkommission kommen wir nicht herum, leider. Die Medien machen uns sonst fertig. Aber Sie, Herr Lindt, sollen die Ermittlungen leiten.«
»Leider«, seufzte Lea Frey, die aus ihrer Abneigung gegen den rundlichen Pfeifenraucher keinen Hehl machte. Seine große Erfahrung und die hohe Erfolgsquote konnte aber selbst eine ›eiserne‹ Oberstaatsanwältin nicht ignorieren.
»Na, also«, brummte Oskar Lindt und ließ sich extra schwer in seinen Sessel fallen. »Sie sorgen dafür, dass wir 20 weitere Kollegen zur Unterstützung bekommen, dann zählen wir noch die Technik und ein paar Streifen der Reviere Waldstadt, Marktplatz und Oststadt dazu. Das ergibt zusammen schon gleich 50. Eine runde Zahl! Die kann sich doch sehen lassen.«
»Und was soll ich zum Thema Serienkiller sagen? Diese Frage kommt garantiert. Ist der Hardtwald noch sicher? Wer wird sein nächstes Opfer?«
»Ist ja nicht unsere erste Pressekonferenz«, antwortete Lindt. »Lassen Sie mich die Einzelheiten darstellen. Wir arbeiten mit Hochdruck, verfolgen bis jetzt schon 45 verschiedene Spuren, setzen alle verfügbaren Kräfte, Speziallabors und neueste Technik ein. Das müsste fürs Erste genügen.«
Tatsächlich gelang es durch die ruhige Art des Kommissars, bei den anwesenden Reportern ein positives Bild intensivster Polizeiarbeit zu erzeugen. Wider Erwarten getraute sich keiner, die Ermittlungen zu kritisieren, und als Lindt bei der Frage nach der genauen Todesursache um Verständnis für Geheimhaltung wegen der laufenden Ermittlungen bat, wurde selbst das akzeptiert.
»Fürs Erste sind wir noch mal gut davongekommen«, raunte Jan Sternberg seinem Chef zu, als sie den Konferenzsaal wieder verließen, doch Lindts Gesichtsausdruck war eindeutig: »Beim nächsten Mal sind die nicht mehr so zahm!«
Paul Wellmann brachte es auf den Punkt: »Wenn einmal das Wort Serienkiller irgendwo auftaucht, dann ist hier der Teufel los.«
Der Teufel selbst schmiedete in diesem Moment bereits neue Pläne. »Perfekt!« Er sprach das Wort laut aus. Niemand konnte ihn hören und es war einer der vielen sonnigen Sommernachmittage im Juli, an denen er auf seinem Bike die schnurgeraden Alleen entlang fuhr. Manchmal sehr schnell, um die Kondition zu trainieren, manchmal möglichst gleichmäßig, um konzentriert nachzudenken und manchmal, so wie an diesem Tag, im Bummeltempo.
»Es muss aber noch perfekter werden!«, sagte er zu sich selbst. Die ersten beiden Male, okay, es hatte alles nach Plan geklappt und dennoch, als er am Tag danach eine Analyse erstellte, fielen ihm innerhalb von zwei Stunden nicht weniger als 14 Schwachstellen ein, die seine Vorhaben hätten gefährden können.
Je mehr er darüber nachdachte, umso haarsträubender kam es ihm vor, dass er sich hatte hinreißen lassen, den Mofafahrer zu nehmen. Wenn der Draht nicht stabil genug gewesen und beim Zusammenprall zerrissen wäre. Oder die Sache mit dem Helm, den er sich wohl oder übel hatte überstülpen müssen. Nein, im Nachhinein verstand er seinen Leichtsinn nicht mehr.
Er hatte bemerkt, dass schon nach seiner ersten Tat die Polizei im Wald verstärkt Streife fuhr. Einen der vielen Radfahrer würden sie nur anhalten, wenn er sich irgendwie verdächtig machte, aber ein Mofa, nachts, auf jeden Fall.
Er ärgerte sich richtig über sein unprofessionelles Verhalten.
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