Waldstadt
Schwarzwälder Kollegen. »Bei Thema Gewicht reagiert Oskar etwas dünnhäutig«, raunte ihm Paul Wellmann zu.
Dicke Rauchwolken stiegen auf. »Wurden Fußspuren gesichert? Die hier zum Beispiel?« Der Karlsruher SoKo-Chef zeigte auf zwei Abdrücke hinter dem blutigen Stein.
»Könnt ihr haben«, versicherte Kühn. »Wir nehmen an, dass der Mörder dort stand.«
Lindt wandte sich wieder an Wellmann: »Wie bei unserem Mofafahrer. Zu Boden werfen und dann die Schlinge zuziehen.«
»Nur wegschleppen konnte er ihn nicht, klar, bei der Masse.«
»Kann sein, Paul, aber es gibt auch sonst noch ein paar gravierende Unterschiede.«
Er zeigte wieder auf die Fotos. »Das Fahrrad bleibt am Tatort liegen, direkt neben dem Weg. Auffälliger geht es nicht und falls es wirklich derselbe Täter war, wieso sucht er sich dann eine derart ungünstige Stelle aus? Erst der tiefe Graben und dann«, er zeigte in den Wald hinein, »siehst du irgendwo Gebüsch oder Unterholz? Nein, nur dichter dunkler Hochwald und auf dem Boden etwas Moos! Es gab gar keine Möglichkeit, das Opfer zu verstecken.«
Franz-Otto Kühn gab ihm recht. »Dichten Unterwuchs haben wir den ganzen Weg entlang reichlich, nur hier gerade nicht. Er hätte wirklich einen besseren Platz auswählen können.«
»Und wenn er ihn gar nicht verstecken wollte? Vielleicht hat er das jetzt einfach nicht mehr nötig.« Lindt zog sein großes weißes Stofftaschentuch heraus und fuhr über Stirn und Nacken. »Er steigert sich. Zwei Mal braucht er noch die Dunkelheit, beim dritten Fall sucht er eine abgelegene Gegend aus und traut sich schon im Hellen.«
»Abgelegen? Hier? Überhaupt nicht!«, widersprach der Freudenstädter Kripochef. »Der Salzleckerweg ist eine unserer Hauptstrecken für Jogger und Biker.«
Lindt machte eine abwehrende Handbewegung: »Wenn bei euch alle Viertelstunde einer vorbeikommt, dann ist das wahrscheinlich schon viel. Im Hardtwald trifft man in derselben Zeit auf eine halbe Hundertschaft.«
»Kennt ihr das Opfer eigentlich?«, wollte Paul Wellmann wissen. »Ein Einheimischer?«
Kühn schüttelte den Kopf und schlug seine Notizen wieder auf. »Jonathan Mullingham, Engländer, 52, war zur Erholung hier. Er hatte Papiere bei sich.«
»Familie?«, fragte Lindt.
Kühn schüttelte den Kopf. »Junggeselle, begleitete seine Erbtante zwei Mal im Jahr zum Black-Forest-Trip. Die beiden waren erst vorgestern in der Zeitung. 40 Mal Freudenstadt, ein Kollege von der Streife hat ihn gleich erkannt.« Er faltete einen Artikel des ›Schwarzwälder Boten‹ auseinander. »Unten an der Waldlust steht sein dicker Range Rover, der fällt natürlich auf, besonders, wenn man so einen Rechtslenker mehrfach im Jahr sieht.«
»Reich?«
»Tuchfabrik in Mittelengland, Tweed und so was. Seit Generationen im Familienbesitz. Schon der Großvater hat angeblich, wie früher viele Engländer, unser mildes Reizklima geschätzt – steht zumindest hier drin.« Kühn hielt seinen Karlsruher Kollegen den Zeitungsausschnitt vor die Nase.
»Wenn er keine Kinder hatte, ist es jetzt wohl aus mit der Tradition«, rieb sich Lindt am Ohr. »Weiß man, wer den Laden erbt?«
»Ha«, lachte Kühn, »der gehört immer noch seiner Tante. Die ist erst 80, klein und drahtig, nicht so wabbelig – oh, Entschuldigung – nicht so schwergewichtig wie ihr Neffe. Spazierstock mit silbernem Griff, zackiger Gang, energischer Blick, jeden Tag zum ›Tea‹ in einem unserer Cafés, sie wird bestimmt 100.«
»Schade, jetzt hatte ich schon ein klassisch englisches Mordmotiv vermutet«, sinnierte Lindt, »aber wenn ›Miss Sophie‹ noch ganz rüstig ist, können wir das wohl abhaken.«
»Ich war heute Morgen bei ihr«, berichtete Franz-Otto Kühn mit einem leichten Lächeln. »Sie nahm den Tod ihres Neffen erstaunlich gelassen und meinte nur: Oh, da ist wohl jemand dem Infarkt zuvorgekommen.«
Lindt zog die Augenbrauen zusammen und brachte schulterzuckend sein weißes Taschentuch wieder zum Einsatz. »Eigentlich dachte ich, es wäre kühler bei euch hier oben«, stöhnte er und trocknete sich die Stirn.
»Wie unser Karlsruher Präsidium, auch so ein Sandsteinkasten«, stellte Paul Wellmann fest, als sie an der Freudenstädter Polizeidirektion, dem ›Schickhardtbau‹, in der nordwestlichen Ecke des großen Marktplatzes angekommen waren. Sie folgten Franz-Otto Kühn, um die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit abzuklären.
Lindt freute sich über die Kühle in den Büros und meinte augenzwinkernd:
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