Waldstadt
»Wirklich angenehm. Ich glaube, wir verlegen die ganze SoKo hierher, zumindest bis bei uns unten die größte Hitze vorbei ist.«
»Drüben im Ochsen könnt ihr euch einquartieren, aber falls das Heimweh nach dem Badnerland zu arg wird, hätten wir auch unsere neue Technik, um in Verbindung zu bleiben.« Kühn zeigte auf Kamera und Großbildschirm im Besprechungsraum.
»Okay«, stimmte Lindt zu, »Videokonferenz, einmal täglich, morgens um neun und die Berichte mailen wir uns gegenseitig zu.«
Bei der Pressekonferenz am späten Nachmittag, die ein Staatsanwalt aus Rottweil zusammen mit Franz-Otto Kühn durchführte, hielten sich Lindt und Wellmann bewusst im Hintergrund. Die Parallelen mit den beiden Morden im Karlsruher Hardtwald sollten auf keinen Fall jetzt schon an die Öffentlichkeit gelangen, darüber waren sich alle Ermittler einig.
»Englischer Feriengast fällt Mordanschlag zum Opfer« titelte die Freudenstädter Lokalseite des ›Schwarzwälder Boten‹ am nächsten Morgen und auch die örtliche Journalistin der Südwestpresse hielt mit: »Britischer Mountainbiker im Stadtwald ermordet.«
Die überregionalen Tageszeitungen brachten eine Kurzmeldung auf ihren Südwest-Seiten und bei den Radiostationen ging der O-Ton des Staatsanwalts schon seit den Abendstunden des vorherigen Tages über den Sender.
Spekulationen über mögliche Mordmotive nahmen besonders bei den örtlichen Zeitungen großen Raum ein, die wenige Tage zuvor über Jonathan Mullinghams langjährige Treue zum Schwarzwald berichtet hatten.
»Forderte der erbarmungslose Konkurrenzkampf in der englischen Textilindustrie jetzt ein Todesopfer im Freudenstädter Erholungswald?«, fragte sich ein Lokalredakteur, der in einem Internetforum aus dem Vereinigten Königreich recherchiert hatte.
Eine für Insiderwissen aus der Kurstadt-Szene bekannte Kollegin tippte eher auf Eifersucht als Tatmotiv. Angeblich war der korpulente britische Junggeselle mehrfach mit einer ebenso molligen wie stadtbekannten goldblonden Unternehmergattin beim Tête-à-Tête auf einem Waldparkplatz an der Schwarzwaldhochstraße beobachtet worden.
Bilder, die ihn zusammen mit seiner Tante im Café zeigten, erschienen neben Fotos seines auffälligen Geländewagens. Der massige, jetzt herrenlose Range Rover, wurde geschickt vor dem Hintergrund des Kurhotels in Szene gesetzt.
Ein Insidertipp aus der Polizeidirektion führte sogar zu Bildern des Tatorts mit der Unterschrift: »Englischer Tweedmillionär endet in Schwarzwälder Straßengraben.«
Nach dem Erscheinen dieses Fotos konnte Franz-Otto Kühn es auch dem Fernsehteam des Südwestrundfunks nicht mehr verwehren, einen zweiminütigen Nachrichtenbeitrag zu produzieren. Der Staatsanwalt war sich für ein Vor-Ort-Interview nicht zu schade und eine Großaufnahme des fliegenbesetzten, blutschwarzen Sandsteins, auf dem das Gesicht Mullinghams aufgeschlagen war, kam den Grenzen der Geschmacklosigkeit ziemlich nahe.
Oberbürgermeister und Kurdirektor, panisch auf den Ruf der Kurstadt bedacht, eilten in die Zeitungsredaktionen. »Schreiben Sie bloß nichts, was unsere Feriengäste verunsichern könnte. Es gibt keinerlei Gefahr im Stadtwald!«
Die Überschrift am folgenden Tag: »Freudenstädter Parkwald ist sicher!«, bewirkte aber genau das Gegenteil. Gerüchte heizten sich immer mehr auf, erste Meldungen von abreisenden Familien erreichten die Touristinformation.
Die Stimmung kochte vollends über, als ein Anzeigenblatt Interviews mit schockierten Waldbesuchern abdruckte. Ein Foto von drei Frauen wurde gezeigt, die Laufstöcke kampfbereit erhoben: »Nordic-Walking nur noch mit Hund und in der Gruppe.« Zwei Kindergartenleiterinnen gaben den sofortigen Verzicht auf Waldspaziergänge bekannt und ein Rentner-Ehepaar aus Bochum ließ sich 20 Zeilen lang über Angstzustände und Panikattacken in dunklen Nadelwäldern aus. »Auf Mallorca brauchen wir uns nicht zu fürchten.«
»Dagegen sind wir hier ja noch ganz gut weggekommen«, kommentierte Oskar Lindt bei der morgendlichen Lagebesprechung die Faxe mit den Zeitungsberichten aus der Schwarzwaldstadt. Selbst nach dem zweiten Hardtwald-Mord hatte es keine derartigen Presseexzesse gegeben und bis auf ein paar kurze Leserbriefe und gelegentliche Nachfragen der Journalisten, wie weit die Ermittlungen zwischenzeitlich wären, hatte sich das Interesse der Öffentlichkeit schon längst wieder anderen Themen zugewandt.
Seine gute Stimmung änderte sich aber schlagartig, als
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