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Waldstadt

Waldstadt

Titel: Waldstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Leix
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Tochter völlig verstritten, suchte er seinen Frieden in der Natur des Nordschwarzwaldes.
    Im Betonklotz, den er bewohnte, gab es viele Zweitwohnungen. Dort öffneten sich die Rollläden nur für ein paar Wochen im Jahr. Seine Nachbarn, die ständig hier wohnten und die ihn vom Sehen kannten, grüßte er nicht. Ein Sonderling, der höchstens ab und zu den Förstern und Holzhauern auffiel, wenn er mit langen Schritten seiner Wege ging, auf einem Felsen saß, um junge Füchse beim Spielen vor dem Bau zu beobachten, oder auf den Grindenflächen mit dem Fernglas den Vogelzug studierte. Kein Wunder also, dass sich nicht einmal der Hausmeister Gedanken machte, wo er abgeblieben sein könnte.
     
    Pech für ihn, dass niemand auf die Idee kam, zu suchen, aber auch Pech für den, der täglich nervöser auf eine Radiomeldung oder einen Zeitungsartikel wartete.
    »Der Tote in den Latschen«, hatte er sich ausgemalt oder »Stranguliert am Ruhestein«, doch nichts dergleichen geschah. Er hatte ihn einfach zu gut versteckt. Zu weit in die Wildnis hineingezogen.
    Auf dem schmalen Pfad konnte man den Verwesungsgeruch kaum wahrnehmen. Der Wind kam meistens von Westen und wehte in die andere Richtung, Heidelbeeren gab es im Umkreis bald auch keine mehr und die wohlerzogenen Wanderer blieben naturschonend, wie man es ihnen beigebracht hatte, selbstverständlich auf den Wegen.
    Zwei Hunde, die frei laufend dem Aasgeruch gefolgt waren, trauten sich nicht weit genug heran und suchten verstört wieder Anschluss an ihre Besitzer.
    Ein tragischer Zufall, dass niemand den grässlichen Fund machte.
    Es war nun schon fast 14 Tage her. Zwei Wochen brütender Sommerhitze, unter der auch im Schwarzwald alle stöhnten.
    Warum riecht denn keiner was, der stinkt doch gegen den Wind?, fuhr ihm immer wieder durch den Kopf, wenn er zum x-ten Mal am Kofferradio seiner Mutter die Regionalnachrichten auf SWR 4 lauter drehte oder morgens schon um halb sechs die Zeitung aus dem Briefkasten holte, um sie eilig durchzusehen.
    Ausschlafen konnte er nicht, er fand keine Ruhe, denn von Tag zu Tag ärgerte er sich mehr, dass sein Werk unentdeckt blieb. Den Bereich am Ruhestein mied er bei den Ausflügen. Er verlegte sich mehr auf die kühlen Seitentäler der Murg nahe Baiersbronn. Der Ellbachsee zog ihn magisch an, auch zum dunklen Kar im Buhlbachtal machte er mehrere Biketouren. Zweimal suchte er sich Wege in den Wäldern um Bad Rippoldsau und gelangte über die Höhenzüge des Wolftales bis zum Glaswaldsee.
    Doch je mehr Tage verstrichen, ohne dass eintrat, was er sich erhofft hatte, desto nervöser wurde er. Als er eines Abends in das niedrige Haus im Freudenstädter Manbachweg zurückkam, blieb er unschlüssig vor dem Telefon stehen. Sollte er vielleicht irgendwo anrufen, anonym natürlich und einen Leichenfund melden. Aber wo? Bergwacht? Rotes Kreuz? Forstamt? Polizei? Könnte die Telefonnummer zurückverfolgt werden? Dann lieber von einer Telefonzelle aus? Die Sache müsste jetzt endlich mal ins Rollen kommen.
    »Wo willst du anrufen?«, hörte er die gedämpfte träge Stimme seiner Mutter hinter sich. Selbst ihr war die Unruhe des einzigen Sohnes nicht entgangen, obwohl eine tägliche Handvoll Psychopharmaka ihre Bewegungen verlangsamt und auch die Gedanken umnebelt hatte.
    »Ach, nichts«, antwortete er und nahm die Hand schnell vom Hörer. »Ich dachte nur … ach, ich wollte noch … nein, doch nicht.«
    Er sah in ihre matten Augen und wandte sich ab. Da, die Kellertür, doch auch von dort drehte er sich schnell zur Seite. Er war nie mehr unten gewesen und wusste doch noch genau den Tag. 12 war er gerade geworden und wollte eine Flasche Apfelsaft holen.
    Ein Heizungsrohr, das waagerecht unter der Betondecke verlief und daran hängend sein Vater – die leere Bierkiste, auf der er gestanden hatte, lag umgekippt auf der Seite.
    Wieso die beiden Polizisten vor der Haustür standen, als er schreiend die Kellertreppe hochgerannt kam, verstand er lange nicht. Viele Jahre glaubte er die Geschichte von der unheilbaren Krankheit und erst, als er schon im Studium war, um wie sein Vater Lehrer zu werden, erfuhr er die ganze Wahrheit.
     
    Er nahm die Hand vom Telefon und ging in die Küche. Wenn er in den Ferien da war, kochte er immer. Auch wenn sie es abstritt, wusste er doch, dass sich seine Mutter nichts Warmes zu Essen machte, wenn sie alleine war. »Eine Kleinigkeit«, sagte sie für gewöhnlich, wenn er anrief und fragte, was sie heute zu Mittag gehabt

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