Waldstadt
brauchte nicht lange zu überlegen: ›Das macht der Waldemar‹. Ist wohl sein Mann für alle Fälle.«
Seit zwei Jahren gehörte der junge Journalist zum Redaktionsteam und hatte dabei schon öfter den richtigen Riecher für Skandälchen, Enthüllungen und aufsehenerregende Reportagen bewiesen.
»Waldemar Kraus, der Ghostwriter des Waldstadt-Würgers«, wurde er vom Chefredakteur vorgestellt. »Er weiß zwar noch nicht, worum es geht, aber …«
Kraus schien schnell von Begriff und ergänzte gleich: »... er ist zu allen Schandtaten bereit.«
Die Neun-Uhr-Konferenz war von gespannter Erwartung gezeichnet. Bis in den späten Abend hatten alle Radiostationen Baden-Württembergs mehrfach über das Bekennerschreiben des ›Waldstadt-Würgers‹ berichtet. Das Südwestfernsehen brachte den Beitrag drei Mal in den Landesnachrichten, mehrere Privatsender stürzten sich auf die Neuigkeit und verbreiteten sie in reißerischem Stil.
»Er muss reagieren«, war sich Oskar Lindt absolut sicher. »Selbst, wenn er momentan nicht mehr hier in Karlsruhe ist, wird er kommen. Wenigstens, um die BNN zu lesen.«
Die SoKo-Konferenz war um mehrere Führungskräfte der Bereitschaftspolizei aufgestockt worden und bis zur Mittagszeit füllten sich Flip-Charts und Stellwände mit umfangreichen Einsatzplänen. Besonders im Hardtwald, in der Waldstadt und Neureut, aber auch in sämtlichen angrenzenden Stadtbereichen sollten in den kommenden Tagen mehrere 100 zusätzliche Polizeibeamte unterwegs sein.
»Ich will kein Blaulicht sehen, nirgends!« Lindt setzte voll auf verdeckte Ermittlung. »Jogger, Radfahrer, Hundebesitzer. Wir werden den Wald mit zivilen Einsatzkräften überschwemmen. Was einen Motor hat, bewegt sich ausnahmslos auf öffentlichen Straßen, aber bitte so unauffällig wie nur irgend möglich.«
»Und wenn der schlimmste Fall eintritt?« Paul Wellmann teilte den Optimismus seines Kollegen nicht so ganz.
»Ich kann mir schon denken, was du meinst.«
»Genau! Was ist, wenn er so nervös wird, dass er keinen anderen Weg sieht, als die Schlinge ein fünftes Mal zuzuziehen, um uns und der Öffentlichkeit zu beweisen, wer der wirkliche Täter ist.«
Lindt schwieg, alle schauten sich betroffen an.
»Können wir das verantworten?«
»Wir müssen ohnehin damit rechnen, dass er weitermacht«, versuchte Psychologe Eschenberg das Vorgehen zu rechtfertigen. »Ich denke, es gibt gar keine andere Wahl, als endlich selbst aktiv zu werden. Oder wollen wir hier sitzen, Däumchen drehen und auf den nächsten Leichenfund warten?«
Auch Jan Sternberg war auf Lindts Seite: »Ein Restrisiko bleibt immer, wie bei jedem Einsatz. Eine hundertprozentige Sicherheit, dass wir ihn mit dieser Aktion schnappen, gibt es nicht, aber der Überraschungseffekt arbeitet für uns. Besser agieren, als immer nur zu reagieren.«
Auch ein anderer wollte zuschlagen. Er verzichtete auf die Krankmeldung. Stattdessen quälte und stählte er sich nach Ende des Unterrichts volle zwei Stunden im Kraftraum der Schule. Der erste Tag nach den Ferien war noch halbwegs auszuhalten gewesen, aber was er am frühen Morgen in der Zeitung über sich gelesen hatte, konnte er nicht aushalten – absolut unerträglich.
In blinder Wut drosch er auf den Sandsack ein, bis seine Fäuste schmerzten. Danach zog, drückte und stemmte er an den Kraftmaschinen, bis er wirklich nicht mehr konnte.
Das durfte er nicht auf sich sitzen lassen. Ausgeschlossen! Wer sich auch immer mit seinen Federn schmücken wollte, dem würde er es zeigen. So nicht!
Außerdem war die Zeitungsseite voller Fehler. Für die Presse natürlich eine tolle Story und auch gut aufgearbeitet, aber insgesamt furchtbar primitiv. So würde vielleicht ein mehrfach vorbestrafter arbeitsloser Kleinkrimineller schreiben, aber doch nicht er. Auch, dass er sein erstes Opfer in der Stutenseer Allee angeblich zuerst mit einer Eisenstange niedergeschlagen und dann erdrosselt hätte, war reine Erfindung, alles gelogen. Niemals hatte er an ein derart einfallsloses Vorgehen gedacht. Genauso einfältig die Begründung: »Ich hatte mächtig Zoff mit meiner Freundin, sie hat mit mir Schluss gemacht, mich dabei verspottet und erniedrigt. Voller Zorn bin ich dann losgezogen und habe mir irgendein Opfer gesucht.«
Pah, Freundin! Er war schon seit fünf Jahren mit keinem Mädchen mehr zusammen gewesen. Er wollte keine weitere Enttäuschung mehr erleben.
Schweißgebadet ging er zum Waschraum. Mehr als 20 Minuten stand er unter
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