Waldstadt
weggegangen war. All ihre Schuhe standen ordentlich im Regal.
Sein Blick ging zur Kellertür. Dort hinunter? Keinesfalls! Niemals! Doch er fühlte, dass ihm keine Wahl blieb.
Er sah den umgestürzten Hocker. Die gleiche Stelle, eine rote Wäscheleine, dasselbe Rohr. Ihr Gesicht schien ganz dunkel, violett, fast schwarz.
»Oskar, du Querdenker, wo sind deine Ideen, deine unkonventionellen Methoden?« 14 Tage nach der Suchaktion am Ruhestein saß Ludwig Willms, Leiter der Karlsruher Kriminaltechnik, dem Hauptkommissar auf der anderen Seite des Schreibtisches gegenüber.
Der Angesprochene schüttelte nur müde und erschöpft den Kopf. »Mir fällt beim besten Willen nichts ein. Ich fühle mich völlig leer, so richtig ausgebrannt.«
Die SoKo hatte bis jetzt 47 Triebtäter überprüft, allesamt Haftentlassene, die ihre Strafe bereits verbüßt hatten. Auf Anraten von Claus Eschenberg waren auch Vergewaltiger und Kinderschänder, die nicht getötet hatten, mit in das Spektrum der Verdächtigen aufgenommen worden. »Es kann ein Zufall sein, dass die Opfer nicht zum Schweigen gebracht wurden«, hatte die Begründung des Psychologen gelautet.
Für Oskar Lindt war dieser Ermittlungsansatz zwar akzeptabel, aber weil bisher nur Männer stranguliert worden waren, und das anscheinend wahllos, suchte er verzweifelt nach anderen Möglichkeiten, das ›Strickmuster‹ des Mörders zu entschlüsseln. Es machte ihn völlig fertig, dass ihm dazu nichts einfiel.
Nachts schlief er kaum mehr als drei Stunden am Stück, tagsüber überfiel ihn bisweilen bleierne Müdigkeit. Sein vegetatives Nervensystem spielte verrückt. Obwohl er nur sehr wenig aß, plagten ihn Magenschmerzen, Blähungen und schlagartig einsetzende Durchfälle. Die schon wochenlang anhaltende Hitze kam dazu – kurz, seine Stimmung war auf dem absoluten Nullpunkt.
Deshalb hatte er Ludwig Willms zu einem intensiven Vier-Augen-Gespräch in sein Büro gebeten. »Meinst du, wir haben etwas übersehen?«, fragte er ihn.
»Wie? Tatortspuren? Nein, das ist kaum möglich. Alles intensivst abgegrast. Die Faserproben, dann die DNA – ja gut, Fingerabdrücke fehlen noch, aber sonst ...« Willms schaute seinen Kollegen, mit dem er schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitete, fragend an. »Ich glaube kaum, dass wir von allen männlichen Karlsruhern Speichelproben analysieren können. Das wären ja über 100.000 und überhaupt, ›er‹ ist ja inzwischen weitergezogen.«
Lindt kaute auf seinem Pfeifenmundstück herum: »Hardtwald, Schwarzwald, reicht ihm das? Ich glaube nicht, dass er so einfach aufhört. Wohin treibt es ihn jetzt? Wieder in einen Wald?«
»Alle Taten geschahen irgendwo im Wald, damit hast du natürlich recht. Vielleicht hat er eine besondere Beziehung zu Wäldern? Oder er sucht dort nur den Schutz, um unerkannt abzutauchen?«
»Das Puzzle hat einfach noch viel zu viele Lücken, aber sollen wir abwarten, bis er ein fünftes Mal zuschlägt, vielleicht wieder hier, direkt vor unserer Nase.«
Ludwig Willms schüttelte den Kopf: »Das darf nicht passieren, keinesfalls.«
Bei den SoKo-Konferenzen hatten sie sich schon die Köpfe heißgeredet, aber ohne Ergebnis.
»Die Art, wie er vorgeht – was will er damit ausdrücken? Wahrscheinlich kannte er seine Opfer nicht, das können wir ziemlich sicher annehmen. Er bringt sie schnell und ohne große Grausamkeit um, schleppt sie ins Gebüsch und fertig. Was gibt ihm das?«
»Vielleicht braucht er den Kick, Oskar, das Gefühl, über Leben und Tod zu bestimmen, mächtig zu sein, allmächtig.«
»Dann könnte es jemand sein, der in seinem Alltag schon viel einstecken musste. Beruflich hat er nichts zu melden, möglicherweise mobben ihn sein Chef oder die Kollegen, privat hält ihn die Frau ziemlich kurz. Denkst du in diese Richtung?«
»So einer ist bestimmt nicht verheiratet, das kann ich mir echt nicht vorstellen. Der hat sicherlich keine feste Partnerin, nein, ausgeschlossen«, überlegte Willms.
»Beziehungsangst, hm, ja. Kann auch sein, dass er mehrfach gescheitert ist. Privat wie beruflich hat er nichts mehr zu verlieren und jetzt will er es allen zeigen. Dafür spricht auch die Aktion mit dem Zettel im Briefkasten des Zeitungsredakteurs. Er will, dass sein Tun bekannt wird, dass man über ihn spricht.«
»Sich einen Namen machen«, sinnierte Willms, da könnte was dran sein. »Vielleicht stellt er sich auch, schreibt im Knast oder in der Psychiatrie seine Memoiren und verkauft sie meistbietend an die
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