Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
zurück und kommt mit einer Kriegsschar wieder und rächt euch an dem Verräter."
"Gelobt hab’ ich, Eisen und Feuer nicht zu fliehen aus Furcht," sprach König Wölsung, "den Schwur halt’ ich, alle Völker werden das zu meinem Ruhme sagen, und nicht sollen die Mädchen beim Spiel meinen Söhnen vorwerfen, dass sie sich vor dem Tode fürchteten. Oft hab’ ich gekämpft, bald mehr, bald weniger Heervolk gehabt; nie wird man hören, dass ich fliehe oder Frieden erbitte. Du sollst zurückkehren zu deinem Mann und bei ihm bleiben, wie immer es uns ergehe."
Da kehrte Signy heim.
Am andern Morgen liess Wölsung seine Mannen ans Land gehen und sich zum Kampf wüsten. Alsbald kam Siggeir mit seinem Heere gezogen, und es erhob sich die allerhärteste Feldschlacht. Neunmal durchbrachen die Wölsungen Siggeirs Schlachthaufen und hieben zu beiden Händen alles nieder.
Als sie zum zehnten Mal hineindringen wollten, da fiel König Wölsung vor seiner Schar und mit ihm alles Gefolge, ausser seinen zehn Söhnen, die, von der Übermacht der Feinde überwältigt und gefangen, in Banden davongeführt wurden.
II. Sigmund und Sinfiötli.
Als Signy hörte, dass ihr Vater erschlagen lag, ihre Brüder aber in Fesseln geworfen und zum Tode bestimmt waren, ging sie zu Siggeir und bat ihn, jene nicht sogleich zu töten, sondern sie in den Stock legen zu lassen, "denn es liebt das Auge, solange es ansieht," schloss sie.
"Rasend und aberwitzig bist du," sprach Siggeir, "dass du für sie lieber grössere Qual als den schnellsten Tod begehrst; dennoch willfahr’ ich dir."
Und die zehn Wölsungen wurden in den Wald geführt und ihnen ein grosser Stock an die Füsse gelegt. Um Mitternacht kam eine fürchterliche Elchkuh, die biss einen der Jünglinge tot und frass ihn auf, darauf ging sie fort. Signy aber sandte am andern Morgen einen treuen Mann ihres hunischen Gefolges in den Wald, und wie er zurückkam, erzählte er ihr das Geschehene.
Da deuchte sie’s arg, wenn alle so sterben sollten. Aber sie fand keine Hilfe. Neun Nächte kam die Elchkuh wieder und biss in jeder Nacht einen zu Tode; nur Sigmund allein war übrig. Ehe die zehnte Nacht kam, rief die Königin ihren Vertrauten, gab ihm Honig, hiess ihn hingehen, damit Sigmund das Gesicht bestreichen und ihm davon in den Mund legen.
Der Mann tat so. Als in der Nacht die Elchkuh kam, roch sie den Honig, beleckte sein Antlitz und fuhr ihm mit der Zunge in den Mund. Da war Sigmund nicht feig; er biss ihr in die Zunge und hielt sie fest mit den Zähnen. Das Tier erschrak, krümmte sich und stemmte die Füsse an den Stock, dass er auseinander fuhr. Sigmund liess nicht los, bis dass die Zunge mit der Wurzel herausfuhr und die Elchkuh starb. Sigmund aber war frei und verbarg sich im Wald. Man sagte, es war Siggeirs Mutter, eine böse Zauberin, welche die Gestalt des Tieres angenommen hatte.
Signy sandte andern Morgens wiederum ihren Boten hinaus und erfuhr, wie es ergangen. Nun eilte sie selbst in den Wald zu ihrem Bruder, und sie berieten, dass er dort bleiben und sich ein Erdhaus bauen solle. Sie sandte ihm alles, dessen er bedurfte, um zu leben. König Siggeir aber glaubte alle Wölsungen tot.
Siggeir wurden zwei Söhne von seinem Weibe geboren. Der älteste zählte zehn Winter; zehn Jahre hatte sich die Königin verzehrt in Hass und Rachegedanken gegen ihren Gatten. Da sandte sie heimlich den ältesten Knaben in den Wald zu Sigmund; dieser sollte ihn zum Gehilfen seiner Rache machen. Der Knabe bestand aber nicht die Mutprobe [Fußnote: Die Wölsungen nahmen Heervolk und Schiffe in ihre Gewalt.] : – "So braucht er nicht länger zu leben, ergreif’ ihn und töte ihn," sprach die grimme Signy zu Sigmund, als sie ihn heimlich aufsuchte.
Nach zwei Wintern erging es dem jüngern Knaben ebenso.
Signy sass nun in ihrer Kammer und sann trauernd über ihrer Gesippen und des einsamen Sigmunds Geschick. Da trat einmal eine wunderschöne Zauberin bei ihr ein, die tauschte Stimme und Gestalt mit Signy. Die Königin schritt in der geliehenen Gestalt in dem Wald zu Sigmunds Erdhaus und bat ihn um Herberge für die nahende Nacht. Er mochte der einsamen Frau die Bitte nicht weigern, vertrauend, sie werde das Gastrecht heilig halten und ihn nicht verraten. Sie setzten sich zum Mahle; sie deuchte ihm lieblich und wunderbar schön, und er vermählte sich ihr [Fußnote: Sigmund fuhr über die See zurück in sein Vatererbe, jagte den König aus dem Lande, der sich darin festgesetzt hatte, und
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