Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Hettel an, dass er ihren Vater aus der Not bringe, und dem grauen Alten wehre. Und herrlich drang Hettel mit seinem Volk in den Streit bis zu Wate – dem war’s leid! – und rief mit heller Stimme: "Um deiner eignen Ehre willen, König Hagen, lass den Hass, dass nicht noch mehr unsrer Freunde fallen!"
"Wer mahnt mich zum Frieden?" fragte der wilde König.
"Das tu’ ich; Hettel von Hegelingen, der seine Getreuen fernhin entsandte, um Hilde zu werben."
"So sandtest du sie nicht um schnöden Frevels willen? – Wohlan! Grosse Ehre haben dir deine Boten errungen! Mit schönen Listen wussten sie dir mein liebes Kind zu gewinnen!"
Hettel nahm den Helm vom Haupte; den Frieden hörte man da über die Walstatt ausrufen und Hagen sprach, dass der Streit geschlichtet sei. Nie vernahmen die Frauen liebere Märe. Schön Hilde sprach: "Wie gern ich meinem Vater entgegenginge, ich getraue mir’s nicht; denn ich habe ihm schweres Leid angetan. Ihn und die Seinen mag’s wenig nach meinem Gruss verlangen."
Aber Horand und Frute nahmen sie bei der Hand und führten sie zu Hagen.
"Es sei!" sprach der, "ich kann nicht anders. Willkommen, du vielschöne Tochter, ich grüsse dich."
Nicht länger sollte die Jungfrau auf dem blutigen Felde verbleiben: "Bringt die Toten zur Ruh’" befahl Hagen, "und lasst uns fort von hier."
Hettel bat ihn zu Gast in seine Halle. Nicht allzu willig folgte Hagen; doch freute er sich bald sehr, wie er sah, welch reiche Lande Hettel dienten, und mit grossen Ehren liess er sich in Hettels Burg geleiten. –
Als er wieder daheim bei Hildes Mutter sass, sprach er: "Es konnte unserm Kinde kein besseres Los werden; hätte ich mehr der Töchter, ich schickte sie all’ nach Hegelingen."
Hilde gebar Hettel zwei Kinder; Ortwein, den Knaben, erzog der alte Wate; das Töchterlein, Kudrun, die Schöne von Hegelingen, sandte Hettel zu den Dänen, seinen nächsten Anverwandten, damit sie die Maid erzögen. Sie wuchs zu solchem Masse, dass sie wohl ein Schwert hätte tragen können. Und viele Fürsten und Edelinge warben um ihre Liebe.
II. Kudrun.
1. Hartmut und Herwig.
Im Lande der Normannen ward die Mär vernommen, keine sei schön erkannt wie Hettels Tochter, Kudrun. Jung Hartmut, des Normannenkönigs Ludwigs Sohn, wandte da seine Minne nach der Jungfrau; das riet ihm Gerlind, seine Mutter. Aber Ludwig sprach: "Wer sagte euch, dass Kudrun so schön sei? Und wäre sie aller Frauen erste, sie wohnt uns zu fern; um ihretwillen möchten viele unsrer Boten verderben."
"Zu weit ist keine Ferne, will ein König Weib und grosses Gut sich zu steter Freude gewinnen," entgegnete Hartmut. "Ich will, dass Boten zu ihr gehen."
"Heisst Werbebriefe schreiben," trieb die alte Gerlind "Gold und Gewand biet’ ich den Boten zum Gewinn."
"Ist euch denn nicht bekannt, wie Hilde, Kudruns Mutter, aus Irland kam?" mahnte Ludwig. "Die Hegelinge sind übermütig; leicht könnten sie uns verschmähen."
Aber Hartmut rief: "Müsst’ ich ein grosses Heer nach Kudrun über Land und Wasser führen; um sie tät’ ich’s freudig. Schön Hildens Tochter will ich mir gewinnen."
Da wählte Hartmut sechzig Mannen zu seinen Sendeboten. Sorgfältig ausgerüstet mit Gewand und Speise ritten sie Tag und Nacht, bis sie in Hettels Land kamen. Es seien reiche Herren, sprach man zu Hegelingen, vor allem darunter ein Graf. Stolz ritten die Normannen auf ihren schönen Rossen in die Königsburg und sagten Hettel Hartmuts Werbung.
"Ihr guten Boten," antwortete der König, "ich heiss’ euch unwillkommen. Herrn Hartmuts Botschaft verdriesst mich sehr."
"Wie könnte Kudrun Hartmut minnen?" sprach die stolze Hilde. "Hundertunddrei Burgen in Karadie [Fußnote: Eigentlich Karadok, ist das heutige Kardigan in Wales, ein schmaler Landstrich gegenüber Irland.] gab mein Vater König Ludwig zu Lehen. Übel stünde meiner Sippschaft solch Ehebündnis."
Den Boten war das leid, dass sie mit dieser Antwort in Scham und Sorgen heinziehen mussten.
"Sagt geschwind," fragte sie da Hartmut, "saht ihr Kudrun mit eignen Augen? Ist sie so schön als man von ihr sagt?"
"Wer sie einmal schaut, dem ist es angetan," antwortete der reiche Graf.
"So muss sie mein werden," sprach der junge König.
Aber auch Herwig von Seeland [Fußnote: Seeland ist an der Scheldemündung zu suchen.] warb eifrig um Kudrun. Er war ein naher Nachbar Hettels; doch, hätte er an einem Tage tausendmal seine Boten nach Hegelingen gesandt, er fand da nichts andres als Hoffart und
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