Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
sie mit der Erbgöttin Jörd (südgermanisch: Nerthus) als eins gedacht und daher – als solche – mit Odin vermählt wird; sie gebiert ihm als Jörd Thor, als Hel Widar (s. diesen unten). Daher heisst es auch, dass Odin ihr Gewalt über die neunte Welt (eben über die Unterwelt) [Fußnote: Oder gar über neun Welten, wie es ein andermal heisst; dann muss man sich die Unterwelt in neun Reiche gegliedert vorstellen.] gegeben habe. Als heilige, segensreiche, allnährende (Nerthus von narjan, nähren) Mutter wurde die Erbgöttin (terra mater) von suevischen Völkern an der Nordseeküste verehrt; sie hatte ihren Wohnsitz auf einem Eiland des Meeres; in einem keuschen Haine ward ihr heiliger Wagen, von faltenreichem Gewande verhüllt, aufbewahrt; nur ihres Priesters Hand durfte rühren an das geheimnisvolle Gefährt. Dieser erkennt es, wann die Göttin das Heiligtum betritt; alsbald werden die ihr geweihten Kühe angeschirrt, und in Ehrfurcht begleitet er den feierlichen Zug. Denn nun fährt die Göttin unter die Völker und greift ein in die Geschicke der Menschen; zur Zeit des frühesten Frühlings (Februar oder März). Da hebt an eine Reihe festfroher Tage; alle Stätten, welche sie des Einzugs und der Gastung würdigt, werden Festplätze. Dann ruhen die Waffen, keine Kriegsfahrt wird unternommen, eingeschlossen wird alle Eisenwehr; Friede und Ruhe kennt man in jenen Tagen, liebt man in jenen Tagen allein, bis die Göttin des Verkehrs mit den Sterblichen ersättigt ist und derselbe Priester sie zurückgeleitet in ihr Heiligtum. Alsbald werden Wagen, Gewande und, nach dem Glauben, die Gottheit selbst in einem geheimnisvoll abgelegenen See gebadet. Unfreie, welche dabei Dienste leisten, verschlingt sofort dieselbe Flut. Daher waltet geheimes Grauen und eine bedeutungsvolle Rätselhaftigkeit; denn, was jenes Verborgene sei, das wissen nur dem Tode Geweihte. Diese Schilderung des Tacitus (Germania c. 40) zeigt die Erdgöttin als eine Mutter der Freude, des Segens, des Gedeihens, des Friedens, wann sie unter die Völker fährt; aber die düsteren Menschenopfer, die der geheimnisvolle See verschlingt, deuten an, dass sie zugleich die Göttin des Todes und der Unterwelt war.
Der Wagen der Göttin war vielleicht zugleich als Schiff gedacht; (in Italien "Caroccio", ein Wagen, der oft ein Schiff oder doch einen Mastbaum trug) – schon um von jener Insel das Festland zu erreichen. Unter dem Bild eines Schiffes, d. h. richtiger wohl auf einem Schiff, hielt eine Göttin der Fruchtbarkeit, welche von den Römern der ägyptischen Isis verglichen ward, Umzüge. Solche festliche Umfahrten, zur Zeit, da der Winter dem sieghaft einziehenden Frühling weicht, – ungefähr um Fastnacht [Fußnote: Da es ein Fest der Liebes- oder doch der Ehegöttin war, beteiligen sich zumal Frauen, oft in ausgelassenem Übermut, an der Feier, oder es werden Mädchen, die nicht heiraten wollen, zur Strafe vor den Wagen der Ehegöttin gespannt, sie müssen ihn ziehen. – Nachdem der alte heidnische Ursprung dieser Fastnachtsumzüge und Reigen vergessen war, erfand man allerlei andre Entstehungsgründe; so bei dem Schäfflertanz und dem Metzgersprung in München; nachdem furchtbare Pest den Mut der Bürger gebrochen hatte, sollten bei Nachlassen der Seuche zuerst diese Zünfte wieder frohe Kurzweil auf den Strassen gewagt und die Lebensfreude der Einwohner wieder geweckt haben.] – mit der Bedeutung, Freude und Frieden zu verbreiten, waren häufig und haben sich in manchen Landschaften bis heute erhalten.
Gerade von dem Festdienst dieser der Isis vergleichbaren Göttin der Ehe, des Friedens, der Fruchtbarkeit, daher auch des Ackersegens und der Schiffahrt, haben sich zahlreiche Spuren erhalten. Aventin erzählt von einer Frau Eisen, welche den König Schwab in Augsburg Eisen schmieden gelehrt habe und pflügen, säen, ernten, Flachs und Hanf bauen, die Weiber aber spinnen, weben, nähen, Brot kneten und backen; mit Schiff, Pflug und Wagen zog sie durch die Gaue. Zu Nivelles wird noch der Wagen einer solchen Göttin, der heiligen Gertrud, aufbewahrt, welche gegen Mäusefrass schützte; mit einer Maus am Stab oder Rocken wird sie abgebildet. Man trinkt Sankt Gertruds Minne wie der heidnischen Götter, und zwar aus einem Becher, der ein Schiff darstellt. Denn auch die Schützerin der Schiffer ist sie; die Rheinschiffer beten in der Kapelle der heiligen Gertrud in Bonn um gute Fahrt; sie bringt die schöne Jahreszeit, "d. h. sie holt den kalten Stein aus
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