Walisischer Sommer
durch den dicken, wasserdichten Schutzanzug konnte sie bei jeder Bewegung das geschmeidige Spiel von Daniels kräftigen Schultermuskeln beobachten.
„Normalerweise beginnen wir diese Übung damit, daß wir vier Teilnehmer mit einem Dozenten in einem größeren Kanu hinausschicken. Sobald er sich vergewissert hat, daß alle das Boot beherrschen und die Sicherheitsvorkehrungen verstanden haben, wird je ein Paddel an zwei verschiedene Leute übergeben. Und nur mit diesen beiden Paddeln muß die Gruppe in gemeinsamer Anstrengung den Landungssteg wieder erreichen.”
„Ah, ja. So kann man auch einen Massenmord begehen”, meinte Christa sarkastisch. „Wenn so etwas im normalen Leben geschieht, würde einer versuchen, beide Paddel zu übernehmen und …”
„Und dann gibt es Streit, und einer allein soll die anderen in Schach halten und gleichzeitig das Boot sicher manövrieren?” gab Daniel zu bedenken.
„Oh, er könnte die anderen mit den Paddeln über Bord stoßen …”
„Hm, ja … Aber es ist doch viel sinnvoller, daß alle zusammenarbeiten, um sicher zum Ufer zu gelangen, oder nicht?”
„Vielleicht in einer perfekten Welt. In einer solchen leben wir jedoch nicht”, stellte Christa gereizt fest.
„Stimmt. Wir können uns aber um eine bessere Welt bemühen.”
Nimmt er etwa an, ich sei so naiv, an seine idealistischen Ideen zu glauben? überlegte sie verächtlich.
Sie befanden sich nun beinahe in der Mitte des Sees, wo die Wellen für Christas Geschmack viel zu hoch waren.
„Was würden Sie tun, wenn wir jetzt beide Paddel verlören, Christa?”
„Sie verklagen?” schlug sie zuckersüß vor.
Daniel lachte. „Dazu müßten Sie aber erst das Ufer erreichen”, wandte er ein.
„Ich kann schwimmen.”
„Es ist weit bis zum Ufer und das Wasser ziemlich kalt. Denken Sie etwas praktischer”, redete er ihr gut zu. „Mit den Händen kann man gut paddeln, besonders wenn wir es gemeinsam tun. Aber erst müßte einer von uns beiden aufstehen und sich umdrehen.”
„Nie und nimmer würde ich Ihnen den Rücken zukehren …” erwiderte Christa sogleich. „Nicht um alles in der Welt.”
„Sie würden also lieber hilflos mitten auf dem See herumtreiben, statt mir zu vertrauen? Gut”, sagte er ruhig. Doch in seinen Augen blitzte es ungeduldig auf. Und dann ließ er zu Christas Entsetzen beide Paddel ins Wasser fallen, erhob sich geschmeidig und glitt in den See.
„Daniel, was soll das? Sie können mich doch nicht allein lassen!” Panik erfaßte sie, denn er schwamm auf den Landungssteg zu.
Er hielt kurz inne und trat dabei Wasser, während er ihr zurief: „Sie haben es so gewollt, Christa.”
Er hatte sich bereits mehrere Meter vom Boot entfernt und dachte offenbar nicht daran, ihr zu helfen.
Christa war schockiert, aber der Stolz verbot es ihr, ihn zu bitten zurückzukommen. Da eins der Paddel noch in der Nähe im Wasser trieb, dirigierte sie das Boot mit den Händen zu dieser Stelle und versuchte, das Ruder herauszuholen. Aber sie war noch nicht nahe genug herangekommen und lehnte sich zu weit hinaus. Denn plötzlich kenterte das Kanu, und Christa landete im kalten Wasser.
In ihrer Panik machte sie alles verkehrt. Sie begann zu schreien, schluckte Wasser und schlug um sich. Sie war überzeugt, ihr letztes Stündlein habe geschlagen und sie würde ertrinken.
Schließlich wurde ihr bewußt, daß das Boot sich wieder aufgerichtet hatte und sie sich nicht länger im kalten Naß befand. Und dann sah sie, daß Daniel mit kräftigen Zügen zu ihr zurückschwamm. Aber statt darüber erleichtert zu sein und sich zu freuen, verspürte sie eine solche Wut, daß sie am ganzen Körper zitterte und kein Wort herausbrachte.
Sie fand jedoch bald die Sprache wieder. Denn nachdem Daniel das Boot am Landungssteg angelegt hatte, kletterte Christa die Leiter hinauf und blieb herausfordernd oben stehen. Als er ihr gefolgt war, fuhr sie ihn an: „Das war Absicht, nicht wahr? Sie haben versucht, mich zu ertränken.”
„Nein, Christa. In Ihrem Schrecken haben Sie das Boot zum Kentern gebracht. Aber ich garantiere Ihnen, es bestand überhaupt keine Gefahr für Sie.”
„Das behaupten Sie. Was wollten Sie eigentlich beweisen?”
„Welche Vorteile es bringt, wenn man einander vertraut.”
„Sie haben mich zu Tode erschreckt, um mich zum Umdenken zu bewegen.”
„Das haben Sie selbst getan, und zwar völlig grundlos. Sie hätten es sich ersparen können.”
„Nun, durch Worte allein können Sie
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