Walisischer Sommer
Platz im wunderschönen altmodischen Garten hinter dem Haus beobachtete Christa Daniel bei der Arbeit. Er reparierte die halb verfallene Steinmauer, die den Garten umgab und von den angrenzenden Feldern trennte.
Zunächst war sie sehr erstaunt gewesen und, wenn sie ganz ehrlich war, auch belustigt, daß ein so intelligenter und hochqualifizierter Mann wie Daniel angeblich Befriedigung in dieser simplen Beschäftigung fand. Das hatte sie ihm auch gesagt, aber er schüttelte nur den Kopf und meinte, sie irre sich, denn diese Aufgabe erfordere viel Geschicklichkeit, und bis jetzt fühle er sich dabei noch wie ein Amateur. Außerdem, so argumentierte er, bereite ihm das Aufbauen der Mauer in ähnlicher Weise tiefe innere Freude wie seine Tätigkeit als Dozent, wenn er Menschen nahebringen könne, das Leben mit anderen Augen zu sehen und sich von der heutzutage allgemein üblichen Vorstellung zu lösen, nur beruflicher Erfolg und Geld würden zu Zufriedenheit und Erfüllung führen.
Seit jenem Ereignis in seinem Arbeitszimmer waren inzwischen drei Tage vergangen. Daniel behandelte Christa ausgesprochen höflich, war jedoch sehr auf Distanz bedacht.
Was auch immer er sein mochte, Lehrer, Mentor oder Guru, sein Verhalten war ausgesprochen korrekt und geschäftsmäßig. Christa kam es jetzt lächerlich vor, daß sie ihm an den Kopf geworfen hatte, er brauche die Bewunderung der Kursteilnehmerinnen. Sie gewann sogar den Eindruck, daß er jeden Versuch ihrerseits, wieder eine etwas persönlichere Atmosphäre herzustellen, freundlich, aber bestimmt zurückweisen würde.
Dieser Gedanke versetzte ihr einen kleinen Stich, wie sie unbehaglich feststellte.
Als sie die Beine übereinanderschlug, bemerkte sie den Fleck auf ihrer Hose. Ihre Lieblingsfarben Creme, Weiß und Beige, die von gutem Geschmack zeugten und für sie als Geschäftsfrau bestens geeignet waren, erwiesen sich unter den jetzigen Bedingungen als sehr unpraktisch. Sie bezweifelte, daß die Seidenbluse, die sie anhatte, sich so leicht und gut waschen ließ wie Daniels kariertes Baumwollhemd. Aber sie wollte sich auch nichts von ihm ausleihen, denn Männerkleidung stand ihr nicht besonders gut. Dafür war sie, wie sie glaubte, nicht groß genug und außerdem zu üppig an gewissen Stellen.
Viel zu üppig sogar, überlegte sie, als im leichten Wind ihre Bluse sich so an ihren Körper schmiegte, daß sich darunter ihre Brüste deutlich abzeichneten.
Aber darüber hätte sie sich keine Gedanken zu machen brauchen, denn Daniel war so in seine Arbeit vertieft, daß er nichts um sich her wahrnahm, wie Christa sich mit einem kurzen Blick in seine Richtung vergewisserte. Daniels dichtes Haar war windzerzaust, und Christa sah das Spiel seiner Muskeln unter seinem Hemd. Widerwillig gestand sie sich ein, daß sie von seinem kräftigen Körper fasziniert und auf subtile Weise erregt war.
Bei einem Bodybuilder oder einem Fitnessclubmitglied würde mich so ein durchtrainierter Körper abstoßen, fuhr es ihr durch den Kopf, aber bei Daniel …
Rasch wandte sie den Blick wieder ab und errötete leicht. Der Mund wurde ihr ganz trocken, und sie war sich Daniels Gegenwart sehr bewußt.
Was ist eigentlich mit mir los? fragte sie sich. Sie hatte ähnlich gutaussehende Männer dutzendweise auf ihren zahlreichen Reisen im In- und Ausland kennengelernt und auch solche, die man im klassischen Sinn als schön bezeichnen konnte.
Das traf auf Daniel nicht zu, dafür waren seine Gesichtszüge zu hart und zu männlich. Und seine Augen hatten die falsche Farbe. Hatte man jemals schon davon gehört, daß ein Mann mit so glasklaren grauen Augen, die alles wahrzunehmen schienen, einer Frau einen langen, sehnsüchtigen Blick zuwerfen konnte, der wie ein federleichtes Streicheln wirkte und die erotischsten Gefühle auslöste? Nein, wenn ich wirklich so ein irritierendes sinnliches Verlangen verspüre, suche ich mir dazu lieber einen anderen aus, sagte sie sich.
Sie runzelte die Stirn und versuchte, sich auf das Buch zu konzentrieren, das Daniel ihr gegeben hatte. Ihrer Meinung nach waren die Ansichten, Absichten und Ziele des Autors zwar sehr lobenswert, aber viel zu idealistisch, wie sie Daniel gegenüber bereits zum Ausdruck gebracht hatte.
„Du weißt, was dein Problem ist, nicht wahr?” erwiderte er. „Du hältst hartnäckig an deinem Zynismus fest, nur weil du Angst hast, eine vermeintlich sichere Position aufgeben zu müssen. Du wagst es gar nicht, zu vertrauen und zu glauben, um nur
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