Walisischer Sommer
nicht. Aber selbst wenn, dann weiß die verletzte Person genau, daß der oder die andere Hilfe herbeiholt.”
„Das wäre für mich unmöglich, niemals würde ich mich einem anderen so sehr ausliefern”, gab sie heftig zurück.
Sie blickte zu den Bergen hinüber und überlegte, wie sehr sie sich ängstigen würde, wenn sie dort allein und verlassen läge, verletzt und bewegungsunfähig. Sie würde sich unter keinen Umständen auf einen anderen verlassen, sondern nur auf sich selbst, und sich lieber auf Händen und Füßen vorwärtsschleppen und dabei riskieren, sich noch schlimmer zu verletzen.
„Hast du einmal darüber nachgedacht, daß deine Angst, anderen zu vertrauen, mit dem Tod deiner Eltern zu tun haben kann?” fragte er ruhig.
Christa erstarrte. Abweisend und ärgerlich entgegnete sie: „Wieso das denn? Sie konnten doch nichts dafür, daß sie ums Leben gekommen sind. Außerdem hatte ich ja noch meine Großtante, die mir ein Zuhause und Liebe gegeben hat.”
„Aber sie konnte dir nicht die Eltern ersetzen”, fuhr er beharrlich fort. „Ein Kind erkennt die Dinge noch nicht so logisch. Als Erwachsene weißt du natürlich, daß deine Eltern an dem Unfall schuldlos waren, aber als Kind kannst du durchaus zornig gewesen sein, weil du geglaubt hast, sie hätten dich im Stich gelassen.”
„Nein”, widersprach sie ein wenig zu rasch. Woher kannte er die seltsam bitteren und wütenden Gefühle, die sie nach dem Tod ihrer Eltern so oft empfunden und gegen die sie angekämpft hatte? Manchmal hatte sie ihre Eltern tatsächlich gehaßt, weil sie sie allein gelassen hatten.
„Und wie steht es mit dir?” drehte sie den Spieß um, denn sie wollte die schlimmen Erinnerungen sogleich wieder verdrängen. „Nach dem, was du mir erzählt hast, müßtest du dich für den Tod deines Vaters mit verantwortlich fühlen …”
„Ja”, antwortete er. „Ja, das tue ich, auch jetzt noch. Es war eine schwierige und erschreckende Erfahrung, dieses Gefühl anzunehmen und zu lernen, damit zu leben, statt es immer wieder zu unterdrücken. Und es war sehr problematisch aufzuhören, mir Vorwürfe zu machen, mich selbst zu bestrafen und Entschuldigungen zu suchen. Man kann sich an negativen Emotionen genauso festklammern wie an irgendeiner Droge. Denk einmal darüber nach”, meinte er, während er sich wieder entfernte.
Christa stand auf. Sie war entschlossen, seine Behauptung zu widerlegen. Doch dann schrie sie leise auf, denn der Wind wehte ihr Sand ins Gesicht. Sie begann zu blinzeln und rieb sich die Augen.
Daniel drehte sich sogleich um und eilte zu ihr zurück. „Was hast du?”
„Nichts … nur etwas im Auge.”
„Laß mich mal sehen.”
„Nein.” Sie stellte sich vor, welchen Gefühlswirrwarr seine Nähe wieder in ihr auslösen würde, und begann, rückwärts zu gehen. Doch es war schon zu spät, denn er stand bereits vor ihr, umfaßte ihr Gesicht und drehte Christa zur Sonne um.
Trotz des schmerzenden und tränenden Auges war Christa sich seiner Berührung sehr bewußt. Überdeutlich spürte sie seine Hände auf ihrer Haut. Sogleich richteten sich ihre Brustspitzen auf und rieben sich an der seidigen Bluse. Christa erbebte und überlegte, ob Daniel die verräterische Reaktion ihres Körpers wahrnahm.
„Schau nach oben …”
Instinktiv widersetzte sie sich der freundlichen Aufforderung und blinzelte statt dessen noch heftiger, während sie sich wieder das Auge rieb. Das machte jedoch alles nur noch schlimmer, denn so bekam sie den Sand auch nicht heraus.
Sie versuchte, sich Daniel zu entziehen, doch er hielt sie fest. „Bleib endlich stehen”, sagte er ruhig.
„Laß mich los”, verlangte sie. „Ich muß mir nur die Nase putzen, dann ist es wieder gut …”
„Das glaube ich nicht. Ein Sandkörnchen sitzt unter dem Augenlid fest …”
„Das weiß ich”, unterbrach sie ihn gereizt. „Es ist mein Auge, vergiß das nicht.”
Daniel ignorierte ihre kindische Bemerkung. „Komm, laß uns ins Haus gehen, damit ich dein Auge auswaschen kann. Versuch bitte, nicht zu blinzeln, und schließ die Augen”, meinte er nur.
Sie tat es, während er den Arm um sie legte und sie seitlich an sich drückte. Sogleich bekam sie wieder Herzklopfen.
„Ich kann nicht mit geschlossenen Augen gehen”, wandte sie ein.
„Doch, lehn dich einfach an mich”, erwiderte Daniel. „Vertrau mir …”
„Nein.” Seine Nähe irritierte sie. Sie hörte ihn atmen und nahm den Duft seiner Haut wahr. Hat er etwa die
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