Walking Disaster
nicht im Sinn, sich vor mir auszuziehen oder mich auch nur ein bisschen zu necken. Einerseits eine kleine Enttäuschung, andererseits mochte ich sie dafür umso mehr. Ich fragte mich, ob sie überhaupt Stringtangas besaß.
War sie vielleicht noch Jungfrau?
Ich musste lachen. Eine Jungfrau am College, das war heutzutage unerhört.
Eine Tube Zahnpasta, eine Zahnbürste und eine kleine Dose mit irgendeiner Gesichtscreme waren auch noch eingepackt. Das nahm ich mit auf den Flur und holte im Vorbeigehen noch ein sauberes Handtuch aus dem Wäscheschrank im Flur.
Ich klopfte einmal, aber sie reagierte nicht, also ging ich einfach rein. Sie stand sowieso hinter dem Duschvorhang, und außerdem besaß sie nichts, was ich nicht schon gesehen hatte.
»Mare?«
»Nein, ich bin’s, Travis«, sagte ich und legte ihre Sachen neben das Waschbecken.
»Was machst du hier? Geh raus!«, quiekte sie.
Ich lachte auf. Was für ein Baby. »Du hast ein Handtuch vergessen, außerdem bringe ich dir deine Klamotten, deine Zahnbürste und diese komische Creme, die ich in deiner Tasche gefunden habe.«
»Du hast in meinen Sachen gewühlt?« Ihre Stimme stieg noch eine Oktave höher.
Ich musste mir schon wieder das Lachen verbeißen. Da trug ich Prüdizilla ihre Sachen nach, um nett zu sein, und sie flippte schon wieder aus. Dabei hatte ich doch sowieso nichts Interessantes in ihrer Tasche gefunden. Sie war ungefähr so verrucht wie eine Sonntagsschullehrerin.
Ich drückte etwas von ihrer Zahnpasta auf meine Bürste und drehte den Wasserhahn auf.
Abby blieb seltsamerweise still, doch dann spähten ihre Augen und ihre Stirn hinter dem Duschvorhang hervor.
Ihre Aufregung war mir ein Rätsel. Ich fand die Szene seltsamerweise total entspannend. Der Gedanke ließ mich innehalten. Nie hätte ich gedacht, dass so eine Alltäglichkeit mir Spaß machen könnte.
»Hau ab, Travis«, knurrte sie.
»Ich kann nicht ins Bett gehen, ohne mir vorher die Zähne zu putzen.«
»Solltest du dich diesem Vorhang auf weniger als fünfzig Zentimeter nähern, werde ich dir im Schlaf die Augen ausstechen.«
»Ich schau schon nicht, Täubchen.« Obwohl die Vorstellung, dass sie sich über mich beugte, selbst mit einem Messer in der Hand, durchaus scharf war. Also, eher das mit dem Drüberbeugen als das Messer.
Ich putzte mir die Zähne fertig und ging ins Schlafzimmer. Die ganze Zeit über musste ich lächeln. Das Wasser wurde bald abgedreht, aber es dauert eine Ewigkeit, bis sie herauskam.
Ungeduldig steckte ich noch mal den Kopf durch die Badezimmertür. »Los jetzt, Täubchen! Ich werde schon langsam alt!« Ihr Aussehen überraschte mich. Ich hatte sie zwar schon ungeschminkt gesehen, aber jetzt war ihre Haut rosig und strahlend. Die langen, nassen Haare hatte sie aus dem Gesicht gekämmt. Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren.
Abby holte aus und warf ihren Kamm nach mir. Ich duckte mich, machte die Tür wieder zu und lief kichernd über den Flur.
Bald hörte ich ihre kleinen nackten Füße näherkommen, und mein Herz begann, heftig zu klopfen.
»Nacht, Abby«, rief Mare aus Shepleys Zimmer.
»Nacht, Mare.«
Ich musste schon wieder lachen. War das nicht unfassbar? Shepleys Freundin hatte mich mit meiner ganz persönlichen Droge bekannt gemacht. Ich konnte nicht genug von ihr kriegen und wollte auch nicht von ihr lassen. Obwohl es dafür keine andere Bezeichnung als Abhängigkeit gab, wagte ich es nicht, auch nur einen Brösel davon zu kosten. Ich behielt sie nur ganz nah bei mir und fühlte mich schon besser, wenn ich sie in meiner Nähe wusste. Ich war ein hoffnungsloser Fall.
Es klopfte zweimal leise, und das brachte mich in die Realität zurück.
»Komm rein, Täubchen. Du brauchst nicht anzuklopfen.«
Abby schlüpfte herein. Die Haare dunkel und feucht, in einem grauen T-Shirt und karierten Boxershorts. Sie ließ ihre großen Augen über die kahlen Wände wandern und schien daraus einiges über mich zu folgern. Es war das erste Mal, dass sich eine Frau hier aufhielt. Ich hatte vorher über diesen Augenblick nicht nachgedacht, aber dass das Zimmer sich durch Abby so anders anfühlte, damit hatte ich auch nicht gerechnet.
Bisher war es einfach der Raum gewesen, in dem ich schlief. Ein Ort, an dem ich nie viel Zeit verbracht hatte. Abbys Anwesenheit unterstrich die weißen, kahlen Wände derart stark, dass es mir schon fast peinlich war. Es fühlte sich nach Zuhause an, weil sie sich hier befand. Die Leere wirkte jetzt
Weitere Kostenlose Bücher