Wall Street Blues
anscheinend seine Zweifel, hakte aber nicht nach. Er trank in kleinen Schlucken seinen Kaffee und blickte sich gründlich im Zimmer um. Wetzon war sicher, daß ihm die Tarock-Karten aufgefallen waren, und hätte gern gewußt, was er davon hielt.
»Wer legt Karten?« fragte er, als könne er Gedanken lesen.
»Ich«, antwortete Smith. »Ich las Gefahr und Tod um Wetzon heute abend. Gefahr und Tod und ein dunkelhaariger Fremder.« Sie strahlte Silvestri charmant an. Silvestri erwiderte ihr Lächeln. »Ich lege sie irgendwann einmal für Sie, Detective.«
Wetzon fühlte sich plötzlich überflüssig. Sie wollte unbedingt nach Hause in ihre Wohnung, in ihr sauberes, ordentliches Bett. »Wissen Sie inzwischen mehr darüber, wer Barry getötet hat?« fragte sie.
Mit sichtlichem Widerstreben löste Silvestri den Blick von Smith. »Nein... nichts Schlüssiges. Wir müssen uns durch zu viele Einzelheiten arbeiten, bevor wir es eingrenzen können. Wir wissen, daß er tatsächlich telefoniert hat, weil er eine Kreditkarte benutzte, deshalb konnten wir die Nummer feststellen.« Er sah Wetzon gespannt an, als wolle oder erwarte er, daß sie darauf reagierte.
»Aber Sie sagen uns nicht, wem der Anruf galt«, sagte Wetzon.
»Stimmt.« Er trank seinen Kaffee aus und stand auf. »So, dann bedanke ich mich. Ich habe eine lange Nacht vor mir.« Er sah Wetzon an. »Möchten Sie nach Hause gefahren werden?«
»Auf keinen Fall.« Smith war sichtlich entsetzt. »Du kannst heute nacht nicht nach Hause, Wetzon. Ich meine wirklich, du solltest hierbleiben. Du möchtest doch nicht allein sein.«
Aber sie wollte, und Smith stritt nicht mit ihr. Sie wußte, daß Wetzon nicht umzustimmen war, wenn sie das Kinn so hielt. Wetzon ging ins Schlafzimmer, um ihre Jacke und Handtasche zu holen. Sie legte die Jacke um die Schultern und besah sich noch einmal prüfend im Spiegel. Vergiß es, dachte sie. Silvestri sah nicht die Frau in ihr. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, strahlten Silvestri und Smith sich immer noch an. Wetzon fühlte sich hintergangen und war eifersüchtig. Es war Smith’ unglaublicher Zauber auf Männer. Alle Männer. Was hatte sie nur an sich? Sie war nicht hübsch. Sie war groß und eckig. Es war eine Aura, irgend etwas, das von ihr ausströmte. Aber Wetzon hatte Silvestri zuerst gesehen. Und Smith sogar gesagt, daß er ihr gefiel. Es war einfach nicht fair.
Gott, sie war todmüde.
Silvestris silberner Toyota stand im Parkverbot vor dem Haus. Im Schein der Straßenlaterne funkelte er. Es war vermutlich das sauberste Auto in New York City - von außen. Erwischte ein unsichtbares Schmutzfleckchen vom Kotflügel, dann schloß er auf und hielt ihr die Tür. Innen war das Auto noch abschreckender als in ihrer Erinnerung. Der Vordersitz war mit Papieren übersät. Auf dem Boden lagen leere Pepsi-Light-Dosen. Da waren leere Pappbecher und Servietten, und ein halber Hamburger schimmelte in einer anderen Schachtel... ROY ROGERS stand darauf.
»Vielleicht gehe ich besser nach hinten«, schlug sie vor.
»Ist genauso schlecht.« Er hatte recht. Hinten lagen der Wäschesack, an den sie sich erinnerte, und mehrere Hemdschachteln der Reinigung, die sie vorher nicht bemerkt hatte. Silvestri raffte die Papiere und Bücher, die auf dem Vordersitz verstreut waren, zusammen und warf sie unsanft auf die Rückbank. Die Kartons und Coladosen stopfte er in eine zerknüllte Papiertüte, die ebenfalls auf dem Sitz lag. Er bückte sich und bürstete mit dem Jackettärmel den Sitz ab, half ihr hinein, schloß die Tür, dann trug er den Diplomatenkoffer um das Auto herum auf seine Seite und legte ihn nach hinten zu den Hemdschachteln. Die Nacht war kühl, und Wetzon nahm ihre Jacke von den Schultern und schlüpfte hinein.
»Erzählen Sie mir von ihr«, sagte Silvestri, nachdem er sich auf dem Sitz zurechtgerückt und das Auto angelassen hatte.
»Was möchten Sie wissen?« Sie brauchte nicht zu fragen, wen er meinte.
»Gibt es einen Mann?« Er bog links ab in die 79. Street.
»Sie ist geschieden. Sie hat einen zwölfjährigen Sohn, Mark. Was möchten Sie sonst noch wissen?« Er kniff die Augen zu, wenn ihn entgegenkommende Autos blendeten. Wahrscheinlich brauchte er eine Brille.
Sie nahmen die Querstraße , die auf der Höhe der 79. Street westlich durch den Central Park führt. Es war kaum Verkehr. Es war längst nach Mitternacht.
»Wie haben Sie sich kennengelernt?«
Wetzon machte es sich auf dem Sitz bequem und begann, ihm von dem
Weitere Kostenlose Bücher