Wall Street Blues
tat?«
»Nein, er erwähnte Sie überhaupt nicht. Er war sehr aufgeregt. Mehr als das, er war in großer Angst. Er sagte, er müsse telefonieren gehen, und ging weg.«
»Die Bänder erwähnte er nicht?«
»Bänder? Was für Bänder?« Wetzon erinnerte sich an die Kassette aus dem Diplomatenkoffer, die sie und Smith angehört hatten. Sie waren also für Mildred Gleason aufgenommen worden. Und irgendwo gab es noch andere. »Nein.« Wetzon schüttelte den Kopf. Sie wünschte, Gleason würde diese scheußliche Zigarette ausdrücken. »Nein, er hat weder Bänder noch Sie erwähnt.«
Roberta stand auf, ein großer, schmalhüftiger Schatten, und stützte sich auf die Rücklehne des Sessels, als wolle sie hinausgehen.
»Hatte er irgend etwas bei sich?« Mildreds Aufmerksamkeit pendelte beunruhigt zwischen Wetzon und Roberta.
»Nur seinen Diplomatenkoffer.«
»Wo ist er? Das ist es!« rief Mildred aufgeregt und umklammerte ihren Arm. »Was haben Sie damit gemacht?«
»Bitte, Sie tun mir weh.« Wetzon zog ihren Arm weg. Sie überlegte schnell. Sie hatte keine Lust, den Unfall im Park und den Diebstahl zu erklären. »Warum sollte ich ihn behalten? Die Polizei hat ihn.«
»Verdammt!« Mildreds rauhe Stimme überschlug sich. »Das war meine große Chance. Eine wie die bekomme ich nie mehr.« Ihre nervösen Finger zerrten an der goldenen Gürtelschnalle.
»Das ist eine ungeheure Zeitverschwendung«, verkündete Roberta mit lauter Stimme.
»Was hat Barry Ihnen am Telefon gesagt?« fragte Wetzon, indem sie Roberta mit ungutem Gefühl beobachtete.
»Ich will mir das nicht noch mal anhören müssen«, sagte Roberta. Sie machte eine Seitentür auf, ging durch und schloß sie hinter sich.
»Tut mir leid«, sagte Mildred. »Sie meint das nicht beleidigend. Es ist nur diese scheußliche Migräne, und sie ist so durcheinander wegen allem, was passiert ist.« Sie zog kräftig an der Zigarette, hustete und stieß beißenden Rauch aus.
»Verstehe«, sagte Wetzon, die versuchte, Mitgefühl zu zeigen, was ihr aber nicht gelang. Übelkeit überfiel sie. Sie schüttelte den Kopf. »Sie wollten mir berichten, was Barry gesagt hat.« Ihre Stimme klang gezwungen.
»Er kam nicht bis zum Ende... er sagte... >Das Schwein, wir sind im Arsch...<, dann lachte er sein irres Lachen... >aber ich habe die Bänder.< Ich sagte, >Was für Bänder, Barry?< Er hatte mir nämlich nie gesagt, wie er es machen wollte. Dann sagte er, >Was machst du... bist du wahnsinnig?< Dann stieß er Laute aus, schreckliche Laute, dann war es still.«
Eine Toilette wurde gespült. Wetzon erschrak.
»Ich konnte die Verbindung nicht trennen«, fuhr Mildred fort, ohne auf das Geräusch zu reagieren. »Ich versuchte aufzulegen. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich wußte, daß etwas Furchtbares passiert war. Ich wußte auch, daß die Polizei schließlich auf mich stoßen würde... Ich brauchte Zeit... um nachzudenken... ich konnte sie nicht gleich anrufen, verstehen Sie...«
»Sie hätten es sofort tun müssen.«
Mildreds schmallippiger Mund zuckte über glatten, weißen, überkronten Zähnen. »Was ändert das jetzt noch? Ich hätte diese Bänder zuerst bekommen müssen... sie waren meine letzte Chance...« Ihre Stimme verlor sich. Ihr Gesicht verfiel vor Hoffnungslosigkeit und Mißerfolg. Ihr Haut hatte einen gelblich grauen Ton angenommen.
Wetzon stand auf. »Vielleicht hat die Polizei sie«, sagte sie. Sie war lange genug hiergewesen.
»Nein, Barry war viel zu raffiniert... er dürfte sie woanders versteckt haben. Mein Gott, ich war so nahe dran. Noch eine Woche, meinte er, und wir hätten Jake da gehabt, wo wir ihn haben wollten. Er hatte den ganzen Winter daran gearbeitet. Er sagte mir nicht, wie oder was. Er war so schlau. Ich wollte es nicht wissen. Ich wußte bis zu dem Anruf nicht einmal von den Bändern.«
»Ich verstehe leider nicht ganz.«
»Begreifen Sie nicht? Die Bänder. Sie hätten dieses betrügerische Schwein Jake Donahue fertiggemacht, begreifen Sie? Es wäre alles vorbei gewesen.« Sie schlug die Hände vors Gesicht.
Laute Stimmen kamen von draußen. Eine Frau schrie wütend, eine Tür knallte zu. Der Lärm aus dem Korridor kam näher.
Trotz ihres Abscheus empfand Wetzon ein wenig Mitleid mit Mildred Gleason. Sie legte ihre Hand auf Mildreds gebeugte knochige Schulter. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht helfen konnte, Mildred.« Sie ging zur Tür. Gewiß, Barry war so schlau gewesen, daß er sich ermorden ließ.
Die Tür flog
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