Wall Street Blues
durchdenken. Arzneimittel gefallen mir im Augenblick, wir behalten sie also vorerst. Ja, ganz meine Meinung. Sie sind unterbewertet.«
Laura Lee sah auf und lächelte Wetzon an. »Harry, ich möchte einige Anlagen neu verteilen, weil ich meine, daß Sie in bestimmten Kategorien zu stark engagiert sind«, fuhr sie fort, »und ich meine auch, dem Portefeuille würde eine konservative Investition in Immobilien nicht schaden. Den Rest sollten wir flüssig halten, entweder auf dem Geldmarkt oder in Schatzwechseln. Aber das alles wird komplett, wenn Sie meine Analyse vorliegen haben.« Sie hörte aufmerksam zu, dann drückte sie ein paar Tasten an ihrem Quotron-Gerät. »Mm. Ja. Ich habe gerade nachgesehen. Achtundvierzig und ein Achtel. Nah am Tiefpunkt. Guter Zeitpunkt zum Kaufen, glaube ich.« Dann hörte sie wieder eine Weile zu. »Nein, davon halte ich nicht viel. Das ist mir zu unsolide für diese Art von Konto... Danke, Harry. Ich rufe Sie an, sobald ich von ihm gehört habe. Überhaupt nicht. Ist mir ein Vergnügen.« Sie legte mit leuchtenden Augen auf. »Prima Kerl. Er schickt Jerry Goldwater zu mir. Jerry Goldwater, den Immobilienkrösus, der sich gerade eine Filmgesellschaft gekauft hat!«
»Laura Lee«, sagte Wetzon beeindruckt. »Ich bin einfach überwältigt. Sie sind phantastisch.«
»So. Nachdem das geregelt ist, Wetzon, wie wäre es, wenn Sie Laura Lee erzählten, was eigentlich los ist.« Laura Lee ließ sich auf ein kleines Sofa fallen, das mit dem gleichen altrosa und hellbraun gestreiften Stoff bezogen war wie der Sessel, auf dem Wetzon saß. Auf dem kleinen verchromten Couchtisch zwischen ihnen stand eine große Glasschale voller Anemonen in verschiedenen Rottönen. »Sie sehen richtig entnervt aus. Wo haben Sie Ihr gewohntes strahlendes und fröhliches Ich gelassen?«
»Ich fühle mich auch nicht strahlend und fröhlich«, gab Wetzon trocken zurück.
»Das kann nur daran liegen, daß der liebe alte Barry noch aus dem Grab nach Ihnen greift.«
»Laura Lee, machen Sie keine Scherze.«
»Tu ich nicht.« Ihr rundes Gesicht war ernst. »Vergessen Sie nicht, daß ich beide kannte — Barry natürlich besser als Georgie. Wir waren alle im selben Trainingskurs, aber ich wurde in eine andere Filiale geschickt.«
»Das hatte ich vergessen — oder vielleicht auch nie gewußt.« Wetzon war müde. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, ihre Begegnung mit Mildred und Roberta geistig zu verarbeiten. »Mir ist, als würde ich in etwas hineingezogen, das ich nicht verstehe, aber nicht aufhalten kann.« Sie seufzte. »Mir ist, als hätte ich die Kontrolle über mein Leben verloren, als hätte ich irgendwie versagt.«
»Hören Sie mich an, Wetzon. Sie sind ein wirklich netter Mensch, und es gibt nicht viele, von denen ich das sagen kann, von Headhuntern ganz zu schweigen.«
Es klopfte leise, und die Tür ging einen Spalt auf. »Ich gehe Kaffee holen, Laura Lee«, sagte Joanne. »Möchten Sie oder Miss Wetzon etwas?«
»Ich nicht. Und Sie, Wetzon?«
»Nein, vielen Dank, Joanne.«
»So, wo waren wir?« fragte Laura Lee.
»Sie haben mir gerade gesagt, wie nett ich bin«, sagte Wetzon. Laura Lee war komisch, wenn sie so ernst tat.
»Machen Sie sich nicht über sich selbst lustig, Wetzon«, schalt Laura Lee. »Ich wäre nicht hier und hätte das alles nicht« — sie beschrieb einen Halbkreis mit dem Arm — »wenn Sie nicht gewesen wären. Ich wollte aus dem Geschäft aussteigen, als ich Sie kennenlernte. Wissen Sie noch?«
Wetzon nickte. Sie erinnerte sich. Vor zwei Jahren war Laura Lee entmutigt und deprimiert gewesen. Der Absturz des Aktienmarktes am Schwarzen Montag hatte sie am Boden zerstört wie alle Makler, besonders jene, die bislang nur einen nach oben tendierenden Markt erlebt hatten. Laura Lee meinte, ihr Geschäft entwickle sich nicht in der richtigen Richtung, und sie wurde außerdem von einem Mitarbeiter belästigt. Wetzon hatte sie gefragt: »Hat Ihnen der Beruf gefallen, als Sie anfingen? Macht Ihnen das Verkaufen an sich Spaß? Und verdienen Sie gern viel?«
Laura Lee hatte alle drei Fragen mit ja beantwortet, und Wetzon hatte vorgeschlagen, Oppenheimer, Bear, Stearns und Alex Brown ins Auge zu fassen, drei erstklassige Läden, wo die ganzen Schreibarbeiten, die Buchhaltung und Registratur von qualifizierten Assistenten erledigt wurden, wo ein Makler nichts anderes zu tun brauchte als zu verkaufen, wo die Produkte höchsten Ansprüchen genügten und auf den zahlungskräftigen Kunden
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