Wall Street Blues
ohne Vorwarnung auf, und ein bullig gebauter Mann stand mit hochrotem Kopf da. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, und an seiner Stirn klopfte eine dicke Ader. »Verdammte alte Fotze!« schrie er und ging mit der Faust auf Mildred los, die genauso wütend aufsprang. Jake Donahue.
Wetzon wich ihm aus. In letzter Zeit befand sie sich anscheinend ständig in der Schußlinie.
Makler und anderes Personal stürzte vom Korridor in den düsteren Raum, die Männer packten Jake und zogen ihn von Mildred weg.
Wetzon steuerte auf die Tür zu. Sie wollte hier ganz bestimmt nicht Silvestri über den Weg laufen.
»Ich bring’ dich um, hörst du, alte Hure. Du läßt die Finger von meinem Geschäft, oder ich bring’ dich um!«
»Scheißkerl, Scheißkerl!« kreischte Mildred. »Raus hier!« Sie schlug nach ihm mit Händen wie Krallen, zerkratzte sein Gesicht, bevor sie zurückgerissen wurde.
Es drängten sich jetzt so viele Leute im Büro, daß niemand bemerkte, wie Wetzon sich verdrückte. Jake würde Mildred nicht umbringen, und alle würden ihm gut Zureden und nach Hause schicken. Er hatte Mildreds Allerheiligstes besudelt, und das genügte, daß sie ausrastete. Wetzon konnte Mildred zusammenhanglos schreien hören, als sie unbemerkt aus dem Büro schlich.
Das Traurigste von allem war, daß niemand um Barry trauerte, nicht einmal sie, dachte Wetzon, als sie ihren Burberry aus dem Schrank im Empfangszimmer holte. Der schwarze Ledertrenchcoat, der daneben gehangen hatte, war nicht mehr da.
L aura Lee Days Büro im Oppenheim Tower des World Financial Center war der Traum fast jeden Maklers, den Wetzon kennengelernt hatte. Es war sehr geräumig, mit maulwurfgrauem samtigem Teppichboden ausgelegt, und bot eine ungewöhnliche Aussicht auf das untere Manhattan samt der Freiheitsstatue.
»Setzen Sie sich doch gleich hierhin und ruhen Sie sich aus«, sagte Laura Lee. »Ich muß nur noch einen Anruf erledigen.« Laura Lee trug ein Wollkreppkostüm in dunklem Weinrot mit enormen Schulterpolstern, eine weiße Seidenbluse, die locker vom Halsbündchen fiel, und riesengroße Zuchtperlenohrringe. Ihre schlanken Beine steckten in einer hauchdünnen schwarzen Strumpfhose, und sie schwankte ein wenig auf superhohen Absätzen. Sie war eine kleine Frau mit hochfliegenden Gedanken.
Wetzon machte es sich auf einem altrosa und hellbraun gestreiften Klubsessel vor Laura Lees schwarzem Lackschreibtisch bequem, auf dessen riesiger Fläche Papiere, Berichte, Akten in vielfarbigen Ordnern ordentlich neben einem Quotron-Gerät und einer kleinen Rechenmaschine gestapelt waren.
Laura Lee zog einen lavendelfarbenen Ordner aus dem Regenbogenstapel, dann drückte sie auf einen Knopf am Telefon, ohne abzuheben.
»Ja, Laura Lee«, sagte ihre Verkaufsassistentin.
»Verbinden Sie mich bitte mit Harry Cleveland, Joanne. Dann keine Anrufe mehr. Wetzon und ich haben einen wichtigen geschäftlichen Termin außer Hauses um halb vier.« Sie warf Wetzon ein strahlendes Lächeln zu.
Wetzon überlegte vage, warum Laura Lee die Zeit so genau angab.
Das Telefon läutete.
»Ich habe hier so ein nettes kleines siebenstelliges Treuhandvermögen zu verwalten«, flötete Laura Lee, indem sie einige Papiere aus dem lavendelfarbenen Ordner nahm und sich auf dem Stuhl zurechtsetzte. »Und dann gibt es Seide auf unsre Haut. Wetzon, Sie ahnen nicht, was das für ein Unterschied...« Sie lächelte kühl und geschäftsmäßig. »Ja, Harry, danke, gut. Ich hoffe, bei Ihnen ist alles in Ordnung? Gut.« Sie kam zur Sache, und plötzlich war kaum noch etwas von ihrem Südstaatenakzent zu hören. »Der Scheck kam heute morgen an. Ich habe mir das Portefeuille gründlich angesehen und bin dabei, eine Auswertung zu erstellen, aber warum sollten wir uns nicht gleich über ein paar Punkte unterhalten? Wir sollten wie besprochen die Ölaktien abstoßen. Ich glaube nicht, daß sich da zur Zeit viel bewegen wird. Nein. Der Bereich kann unbeständig sein, zu sehr sogar für dieses Portefeuille. Mehr Spielraum dürfte es in der Lebensmittelgruppe und bei den Konsumgütern geben. Vielleicht P. und G. Ja. Ich würde bei den Banken aussteigen. Wenn die Zinssätze in den nächsten Monaten klettern, bekommt es diese Gruppe zu spüren, genauso Ihre Stromaktien. Ich gehe Ihren Bestand an Stadtwerkaktien durch und überlege, welche man behalten soll. Nein. Der falsche Zeitpunkt. Wir lassen lieber die Finger von allem, was auf Zinsschwankungen empfindlich reagiert. Ich muß das gründlich
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