Wall Street Blues
Schläfe.
»Das ist meine Assistentin, Roberta Bancroft. Sie leidet schrecklich unter Migräne. Sie stören sich hoffentlich nicht daran, wenn sie hierbleibt, während wir uns unterhalten. Ich habe keine Geheimnisse vor Bobbie.« Mildred lächelte ihre Assistentin, die wieder stöhnte, liebevoll an. »Deshalb haben wir die Jalousien heruntergelassen. Licht ist eine Qual für sie. Sie haben doch nichts dagegen?«
»Überhaupt nicht.« Wetzon sah Roberta mitfühlend an, bemüht, sie nicht anzustarren. Da war etwas... etwas an ihr... »Sind wir uns schon einmal begegnet, Miss Bancroft?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Roberta leise. »Verzeihen Sie, es ist so quälend für mich, zu sprechen.« Sie bot ihr nicht die Hand.
Wetzon nahm auf dem Sofa Platz, und Mildred setzte sich rechts von ihr auf einen Chippendalestuhl. Auf dem Teewagen stand ein silberner Dreifuß mit einem Kristallkrug, in dem anscheinend Zitronenscheiben in Wasser schwammen. Daneben standen ein kleiner silberner Eiswürfeleimer und ein paar hübsche Kristallkelche, vermutlich alles Waterford.
»Ich habe ständig einen Krug hier stehen«, sagte Mildred mit einem Blick auf das Wasser. »Es bekommt mir viel besser als Kaffee. Ich werde zu aufgedreht von Kaffee. Möchten Sie etwas? Es ist normales Wasser, gutes New Yorker Leitungswasser.«
»Ja, gern. Sie haben ein sehr hübsches Zimmer, Mildred.«
»Danke. Es ist mein Heiligtum, nicht wahr, Bobbie?« Trotz ihrer zur Schau gestellten Gelassenheit zitterten Mildreds Hände, als sie den Kristallkrug hob, und ein wenig Wasser schwappte über den Kelchrand. Ihr Augen saßen tief in den Höhlen und waren rot umrändert. »Oh, ich bin heute nicht ganz da«, fuhr sie müde fort, während sie das verschüttete Wasser mit einer Leinenserviette aufwischte. Sie sah abgespannt aus, weiß und nervös, wenngleich auf seltsame Weise nicht so schlecht wie damals, als Wetzon sie im Harry’s kennengelernt hatte. Ihre Nase schien damals plumper, ihr Kinn weniger scharfgeschnitten. Jetzt wirkte ihr Gesicht voller und jünger.
Klar, dachte Wetzon, Mildred hatte sich bestimmt liften lassen, und sie hoffte nur, daß sie sie nicht angeglotzt hatte. Sie stellte ihre Aktentasche auf den Boden neben das Sofa und nahm einen Schluck von dem Zitronenwasser. Es war gut.
Roberta veränderte mehrmals ihre Haltung, schlug mal das eine, mal das andere schlanke Bein über, sprach nicht, sandte aber Wellen der Ungeduld aus. Mildred Gleason, die sie ängstlich beobachtete, stand auf, wobei die goldenen Armbänder an ihren schmalen Handgelenken klirrten. Ihre Finger spielten mit der schweren goldenen Halskette. Zwei kleine dunkle Schweißflecke zeigten sich unter den Ärmeln an ihrer rosa Seidenbluse. Sie schloß die Tür zum Korridor und lehnte sich dagegen, als müsse sie wieder zu Atem kommen. Ein Fernschreiber gurgelte und piepte wie ein Kochtopf. Wetzon hatte schon lange keine Apparate wie diesen gesehen. Die meisten Firmen hatten auf das Quotron-Infosystem umgestellt. Sie hatte gute Beine, dachte Wetzon, deren Gedanken immer wieder abschweiften.
»Ich... äh... Barry...« begann Mildred. Das Telefon läutete. Sie eilte hin und nahm ab. »Keine Anrufe... habe ich nicht gesagt, keine Unterbrechungen?... Ach so... warum werde ich damit belästigt, Bobbie?« Bobbie antwortete nicht. Mildred schien sich, während sie sprach, immer mehr aufzulösen, wie sie sich da auf den Schreibtisch stützte, die Haare wegstehend, ihr Make-up verlaufend, die Schweißflecke auf der hübschen Bluse. Immer noch über den Schreibtisch gebeugt, zündete sie eine Zigarette an. »Wer? Ach... Ich muß ihn zurückrufen... wie war der Name?... Sagen Sie ihm, halb fünf würde passen. Nein, keine Unterbrechungen.« Sie legte auf. »Entschuldigen Sie... oje, diese beiden letzten Tage... Gott, wo war ich stehengeblieben?« Sie richtete sich auf, während sie redete. Asche fiel auf ihren dunklen Rock.
»Barry.«
»Ja. Barry. Das war eben die Polizei. Ein Detective Silvestri möchte mich heute um halb fünf treffen.« Wetzon hatte das eindeutige Gefühl, daß Mildred mit Bobbie redete, obwohl sie nur sie ansah.
»Sie? Warum?« fragte Wetzon.
»Wissen Sie nicht? Sie müssen es wissen...«
»Natürlich weiß sie es.« Aus Bobbies Stimme sprach tiefe Verachtung. Sie regte sich nicht.
»Entschuldigung. Sie verwirren mich. Ich weiß nicht, warum Sie mich sehen wollten. Wenn Sie mir vielleicht sagen könnten, worum es hier geht?« Mildreds Nervosität war
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