Wallander 02 - Hunde von Riga
Versprechen. Der Mann schien immer noch zu zögern.
Vor irgend etwas hat er Angst, dachte Wallander.
»Ich verspreche es bei meiner Ehre als Polizist«, versuchte er es noch einmal.
»Darauf gebe ich nicht viel«, erwiderte der Mann.
»Das können Sie aber«, antwortete Wallander. »Ich habe meine Versprechen noch immer gehalten. Da können Sie fragen, wen Sie wollen.«
Am anderen Ende wurde es still. Wallander hörte die Atemzüge des Mannes.
»Wissen Sie, wo die Industrigatan liegt?« fragte der Mann plötzlich.
Wallander wußte es. Sie lag in einem Industriegebiet am östlichen Stadtrand.
»Fahren Sie dorthin«, sagte der Mann. »Fahren Sie hinein. Es ist eine Einbahnstraße, aber das macht nichts. Nachts ist dort kein Verkehr. Schalten Sie den Motor aus und löschen Sie das Licht.«
»Jetzt?« fragte Wallander.
»Jetzt.«
|69| »Wo genau soll ich anhalten? Die Straße ist lang.«
»Fahren Sie einfach dorthin. Ich werde Sie schon finden. Und kommen Sie allein. Sonst wird nichts draus.«
Die Leitung wurde unterbrochen.
Wallander beschlich ein unbehagliches Gefühl. Einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, Martinsson oder Svedberg anzurufen und um Hilfe zu bitten. Dann zwang er sich nachzudenken, ohne auf das schleichende Gefühl des Unbehagens Rücksicht zu nehmen. Was konnte schon passieren?
Er warf die Decke zurück und stand auf. Ein paar Minuten später schloß er auf der leeren Straße seinen Wagen auf. Die Temperatur war unter den Gefrierpunkt gesunken. Er bibberte, als er sich ins Auto setzte.
Fünf Minuten später bog er in die Industrigatan ein, die von Autofirmen und verschiedenen Kleinbetrieben gesäumt wurde. Nirgends konnte er Lichter erkennen. Er fuhr zur Mitte der Einbahnstraße. Dann hielt er an, schaltete den Motor und das Licht aus und wartete in der Dunkelheit. Die grünschimmernde Uhr neben dem Lenkrad zeigte sieben Minuten nach Mitternacht.
Es wurde halb eins, ohne daß irgend etwas geschah. Er beschloß, bis eins zu warten. War bis dahin niemand gekommen, würde er wieder nach Hause fahren.
Er entdeckte den Mann erst, als er schon neben dem Auto stand. Wallander kurbelte schnell die Scheibe herunter. Das Gesicht des Mannes lag im Schatten, so daß er die Gesichtszüge nicht ausmachen konnte. Aber die Stimme erkannte er wieder.
»Fahren Sie hinter mir her«, sagte der Mann nur.
Dann verschwand er.
Einige Minuten später kam ihm ein Auto entgegen. Die Lichthupe wurde betätigt.
Kurt Wallander ließ den Motor an und folgte dem Wagen. Sie fuhren aus der Stadt heraus, Richtung Osten.
Plötzlich wurde Wallander klar, daß er Angst hatte.
|70| 5
Der Hafen von Brantevik war wie ausgestorben.
Die meisten Lampen der Hafenbeleuchtung waren gelöscht. Nur vereinzelte Lichtpunkte fielen über das Hafenbecken mit seinem dunklen, unbeweglichen Wasser. Kurt Wallander fragte sich kurz, ob die Lampen eingeschlagen worden waren oder ob es Teil der allgemeinen städtischen Sparmaßnahmen war, für immer erloschene Glühbirnen nicht auszuwechseln. Wir leben in einer sich verdunkelnden Gesellschaft, dachte er. Ein symbolisches Bild wird mehr und mehr zur Wirklichkeit.
Die Bremslichter vor ihm erloschen, dann auch die Scheinwerfer. Wallander schaltete sein eigenes Licht aus und blieb in der Dunkelheit sitzen. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte mit elektronisch ruckenden Bewegungen die Zeit an. Fünf Minuten vor halb zwei. Plötzlich begann eine Taschenlampe in der Dunkelheit zu schwirren wie ein rastloses Glühwürmchen. Wallander öffnete die Autotür und stieg aus. Die kalte Nachtluft ließ ihn schaudern. Der Mann mit der Taschenlampe blieb ein paar Meter vor ihm stehen. Wallander konnte seine Gesichtszüge immer noch nicht erkennen.
»Wir gehen auf den Kai hinaus«, sagte der Mann.
Er sprach breites Schonisch. Wallander dachte, daß nichts wirklich bedrohlich klingen konnte, solange es Schonisch ausgesprochen wurde. Er kannte keinen anderen Dialekt, in dessen Tonfall so viel
Fürsorglichkeit
lag.
Dennoch zögerte er.
»Warum?« fragte er. »Warum sollen wir auf den Kai hinausgehen?«
|71| »Haben Sie Angst?« erwiderte der Mann. »Wir werden auf den Kai hinausgehen, weil dort ein Boot liegt.«
Er wandte sich um und setzte sich in Bewegung. Wallander folgte ihm. Eine plötzliche Bö fegte ihm ins Gesicht. Sie blieben vor der dunklen Silhouette eines Fischerbootes stehen. Der Geruch von Meer und Öl war jetzt sehr intensiv. Der Mann gab Wallander die
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