Wallander 02 - Hunde von Riga
er wieder auf die Hauptstraße gestoßen war, verlangsamte er sein Tempo. Aber hinter ihm tauchten keine Scheinwerfer auf.
Viertel vor drei schloß er schließlich wieder die Tür zu seiner Wohnung auf. Er setzte sich an den Küchentisch und machte sich Notizen zu dem Gespräch, das er im Maschinenraum des Fischerbootes geführt hatte.
Das Baltikum, dachte er. Kann das Boot wirklich so weit getrieben sein? Er stand auf und ging ins Wohnzimmer. In einem Schrank fand er zwischen Stapeln alter Illustrierten und Opernprogrammen seinen alten Schulatlas. Er schlug die Karte über Südschweden und den Ostseeraum auf. Das Baltikum schien ihm gleichzeitig weit weg und doch sehr nah zu sein.
Ich weiß nichts über das Meer, dachte er. Ich weiß nichts über Strömungen, Abdrift und Windverhältnisse. Vielleicht hat er ja recht? Und warum sollte er etwas behaupten, was nicht der Wahrheit entspricht?
Wieder dachte er an die Angst des Mannes. Den anderen Mann an Bord, den Unbekannten, vor dem er sich fürchtete.
Es war vier Uhr, als er wieder in seinem Bett war. Er lag noch lange wach, bis es ihm endlich gelang einzuschlafen.
|77| Er wachte mit einem Ruck auf und wußte sofort, daß er verschlafen hatte.
Die Uhr auf seinem Nachttisch zeigte 7.46 an. Er fluchte, sprang aus dem Bett und begann, sich anzuziehen. Zahnbürste und Zahnpasta stopfte er sich in die Jackentasche. Drei Minuten vor acht parkte er sein Auto vor dem Polizeipräsidium. Ebba aus der Zentrale winkte ihn zu sich.
»Du sollst dich bei Björk melden«, sagte sie. »Wie siehst du überhaupt aus? Hast du verschlafen?«
»Allerdings«, antwortete Wallander und hastete in eine Toilette, um sich die Zähne zu putzen. Gleichzeitig versuchte er, seine Gedanken vor der kommenden Besprechung zu sammeln. Wie sollte er zum Beispiel seinen nächtlichen Ausflug zu einem Fischerboot im Hafen von Brantevik vorbringen?
Als er zu Björks Büro kam, war dort niemand. Er ging weiter zum größten Konferenzraum des Polizeipräsidiums, klopfte an die Tür und fühlte sich wie ein Schüler, der zu spät kommt.
Sechs Personen saßen an dem ovalen Tisch und schauten ihn an.
»Ich bin etwas spät dran«, sagte er und setzte sich auf den nächstbesten leeren Stuhl. Björk sah ihn streng an, während Martinsson und Svedberg neugierig schmunzelten. Bei Svedberg konnte er außerdem eine Spur von Schadenfreude erkennen. An Björks linker Seite saß Birgitta Törn mit ihrem nicht zu deutenden Gesichtsausdruck.
Es befanden sich zwei weitere Personen im Raum, die Wallander noch nie zuvor gesehen hatte. Er stand von seinem Stuhl auf und ging um den Tisch herum, um sie zu begrüßen. Beide Männer waren um die fünfzig, sahen sich auffallend ähnlich, waren kräftig gebaut und hatten freundliche Gesichter. Der eine stellte sich als Sture Rönnlund vor, der andere hieß Bertil Lovén.
»Ich bin von der Mordkommission«, sagte Lovén. »Sture hier ist vom Rauschgiftdezernat.«
|78| »Kurt ist unser erfahrenster Ermittlungsbeamter«, sagte Björk. »Bitte, bedient euch. Hier ist Kaffee.«
Als endlich alle ihre Plastikbecher gefüllt hatten, eröffnete Björk die Besprechung.
»Wir sind natürlich dankbar für jede Hilfe, die wir bekommen können«, begann er. »Niemandem von euch wird entgangen sein, welch einen Aufstand dieser Leichenfund in den Medien verursacht hat. Nicht zuletzt deswegen ist es von großer Wichtigkeit, die Ermittlungen mit großer Energie, kraftvoll und energisch zu führen. Birgitta Törn ist natürlich in erster Linie als Beobachter gekommen und um uns bei eventuellen Kontakten mit den Ländern, in denen Interpol keinen Einfluß hat, zu helfen. Aber das soll uns nicht davon abhalten, ihren Ansichten auch dann Gehör zu schenken, wenn sie die konkrete Ermittlungsarbeit betreffen.«
Dann war Wallander an der Reihe. Weil alle im Raum Versammelten Kopien der bisherigen Ermittlungsberichte vorliegen hatten, sparte er es sich, den Stand der Dinge detailliert durchzugehen. Er begnügte sich mit einer Übersicht und den zeitlichen Abläufen und verwendete mehr Zeit auf die Obduktion und ihre Ergebnisse. Als er fertig war, stellte Lovén einige Fragen zu Details, die er eingehender erklärt haben wollte. Das war alles. Björk sah sich in der Runde um.
»Schön«, sagte er. »Wie machen wir nun weiter?«
Kurt Wallander reizte Björks untertänige Haltung gegenüber der Frau vom Außenministerium und den beiden Kriminalpolizisten aus Stockholm. Er würde sich nicht
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