Wallander 02 - Hunde von Riga
bemerkt hatte, daß die beiden Männer der russischen Bevölkerung im Land angehörten. Wallander hatte bereits begriffen, daß sich die große russische Volksgruppe, die seit der Annektierung während des Zweiten Weltkriegs im Lande lebte, dem Unabhängigkeitsprozeß widersetzte. Er konnte sich jedoch kein klares Bild davon machen, wie groß das Problem war. Dazu reichte sein politisches Wissen nicht aus. Aber Major Liepas Verachtung war unverblümt und zeigte sich immer wieder.
»Russische Banditen«, nannte er sie.
»Russian bandits, members of our Eastern maffia.«
Obwohl sie noch recht jung waren – Leja war achtundzwanzig und Kalns einunddreißig –, hatten sie ein langes Strafregister. Sie waren in Diebstähle, Überfälle, Schmuggel und illegale Devisengeschäfte verwickelt gewesen. Die Polizei in Riga hatte in mindestens drei Fällen Grund zu der Annahme gehabt, daß die beiden jungen Männer Morde begangen hatten. Aber die Verbrechen konnten ihnen nie nachgewiesen werden.
Als Major Liepa schließlich alle Berichte und Auszüge aus lettischen Verbrecherkarteien durchgegangen war, hatte Wallander sich eine Frage überlegt, die ihm von entscheidender Bedeutung zu sein schien.
|94| »Diese Männer haben viele schwere Verbrechen begangen«, sagte er. (Das Wort
schwer
bereitete ihm Probleme, bis Martinsson das englische Wort
serious
vorschlug.) »Um so seltsamer kommt es mir vor, daß sie anscheinend nur für sehr kurze Zeit im Gefängnis gesessen haben? Obwohl sie überführt und verurteilt worden sind?«
Da lächelte Major Liepa. Das blasse Gesicht öffnete sich in einem breiten und interessierten Lächeln.
Die Frage wollte er hören, fuhr es Wallander durch den Kopf. Sie war wichtiger als alle Höflichkeitsfloskeln.
»Ich muß Ihnen etwas über mein Land erzählen«, sagte Major Liepa und zündete sich eine neue Zigarette an. »Nicht mehr als ein Drittel der lettischen Bevölkerung sind Russen. Trotzdem haben sie seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute unsere Gesellschaft auf jede erdenkliche Art und Weise dominiert. Die Ansiedlung von Russen ist eine der Methoden des von Moskau gesteuerten Kommunismus, unser Land zu unterdrücken, vielleicht sogar die effektivste Methode. Sie fragen, wie es sein kann, daß Leja und Kalns so wenig Zeit im Gefängnis verbracht haben, obwohl sie eigentlich lebenslänglich verdient hätten, vielleicht sogar hätten hingerichtet werden sollen. Ich behaupte gar nicht, daß alle Staatsanwälte und Richter korrupt sind. Das würde bedeuten, die Tatsachen allzu sehr zu vereinfachen. Das wäre überheblich und taktisch unklug. Andererseits bin ich davon überzeugt, daß Leja und Kalns andere, bedeutend mächtigere Beschützer im Hintergrund hatten.«
»Die Mafia«, sagte Wallander.
»Ja und nein. Die Mafia in unseren Ländern benötigt auch einen unsichtbaren Beschützer. Ich bin überzeugt, daß Leja und Kalns viel Zeit damit verbracht haben, für den KGB zu arbeiten. Die Geheimpolizei hat es nie besonders gemocht, ihre eigenen Leute im Gefängnis zu sehen, es sei denn, sie waren Verräter oder Überläufer. Stalins Schatten schwebt ständig über den Köpfen dieser Menschen.«
|95| Dasselbe gilt eigentlich auch in Schweden, dachte Wallander. Selbst wenn wir nicht damit angeben können, ein Phantom im Hintergrund zu haben. Ein verschlungenes Netz von Abhängigkeitsverhältnissen ist nicht unbedingt nur für ein totalitäres politisches System typisch.
»Der KGB«, wiederholte Major Liepa. »Dann die Mafia. Das läßt sich nicht trennen. Alles ist durch Fäden miteinander verbunden, die nur Eingeweihte erkennen können.«
»Die Mafia«, sagte Martinsson, der bisher nur den Mund aufgemacht hatte, um Wallander bei der Suche nach einem passenden englischen Wort oder einer Erklärung zu helfen. »Für uns in Schweden ist es etwas Neues, daß es gut organisierte russische oder osteuropäische Verbrechersyndikate gibt. Vor ein paar Jahren stellte die schwedische Polizei fest, daß Gruppen sowjetischer Syndikate auftauchten, hauptsächlich in Stockholm. Aber wir wissen nach wie vor sehr wenig darüber. Einige brutale interne Auseinandersetzungen waren die ersten Anzeichen dafür, daß sich etwas geändert hatte. Man hat uns lediglich gewarnt, daß wir in den nächsten Jahren mit dem Versuch dieser Leute rechnen müssen, sich in unsere Gesellschaft einzuschleusen, um dort Schlüsselpositionen zu übernehmen.«
Wallander lauschte neidisch Martinssons Englisch. Die Aussprache war
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