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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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eingeschneit worden. Aber als Wallander ihn anrief und fragte, ob er alles Nötige habe, antwortete sein Vater, er hätte noch gar nicht bemerkt, daß der Weg durch Schneewehen versperrt sei. In dem allgemeinen Chaos ruhte die Ermittlung mehr oder weniger. Major Liepa saß in Svedbergs Büro und studierte den ballistischen Bericht, den Lovén geschickt hatte. Wallander hatte eine lange Unterredung mit Anette Brolin, in der er ihr den Stand der Ermittlungen darlegte. Bei jedem Zusammentreffen mit ihr erinnerte er sich an das letzte Jahr, als er sich Hals über Kopf in sie verliebt hatte. Nun kam ihm diese Erinnerung unwirklich vor, als hätte er sich das Ganze nur eingebildet. Anette Brolin nahm zur Generalstaatsanwaltschaft und zur Rechtsabteilung des Außenministeriums Verbindung auf, um grünes Licht dafür zu bekommen, den Fall in Schweden abzuschließen und der Polizei in Riga zu übergeben. Major Liepa hatte dafür gesorgt, daß die lettische Polizei einen offiziellen Antrag an das Außenministerium stellte.
    Eines Abends, als der Schneesturm besonders heftig wütete, lud Wallander Major Liepa zu sich nach Hause ein. Er hatte eine Flasche Whisky gekauft, die sie im Laufe des Abends gemeinsam leerten. Wallander spürte schon nach ein paar Gläsern die Wirkung des Alkohols. Major Liepa dagegen schien völlig unberührt. Wallander hatte begonnen, ihn
Herr Major
zu nennen, wogegen er anscheinend nichts einzuwenden hatte. Es war nicht einfach, sich mit dem lettischen Polizisten zu unterhalten. Wallander konnte nicht beurteilen, ob es daran lag, daß er schüchtern war, oder ihm sein Englisch peinlich |104| war, oder ob es möglicherweise ein Zeichen überlegener Gelassenheit war. Wallander erzählte von seiner Familie, von Linda, die eine Volkshochschule in Stockholm besuchte. Major Liepa sagte nur, daß er verheiratet war und seine Frau Baiba hieß. Kinder hatten sie nicht. Der Abend schritt weiter fort, und einen Großteil der Zeit saßen sie schweigend da, das Glas in der Hand.
    »Schweden und Lettland«, sagte Wallander. »Haben wir Gemeinsamkeiten? Oder gibt es nur Unterschiede? Ich versuche, mir Lettland vorzustellen. Aber ich sehe nichts. Dabei sind wir Nachbarn.«
    Schon, als er seine eigene Stimme hörte, wußte Wallander, daß seine Frage sinnlos war. Schweden war kein Land, das wie eine Kolonie von einer fremden Macht beherrscht wurde. Auf schwedischen Straßen wurden keine Barrikaden errichtet. Unschuldige Menschen wurden nicht erschossen oder von Militärfahrzeugen zermalmt. Gab es da etwas anderes als Unterschiede?
    Die Antwort des Majors war trotzdem überraschend.
    »Ich bin religiös«, sagte er. »Zwar glaube ich nicht an einen Gott, aber man kann trotzdem einen Glauben haben, etwas, das sich außerhalb der begrenzten Landschaft der Vernunft befindet. Sogar der Marxismus beruht zu einem großen Teil auf Glauben, obwohl er sich als eine rationale Wissenschaft und nicht ausschließlich als eine Ideologie versteht. Dies ist mein erster Besuch in der westlichen Welt. Früher konnte ich nur in die Sowjetunion, nach Polen oder in die anderen baltischen Staaten reisen. Hier habe ich einen materiellen Überfluß gesehen, der unbegrenzt zu sein scheint. Es besteht ein Unterschied zwischen unseren beiden Ländern, der gleichzeitig eine Gemeinsamkeit ist. Beide Länder sind arm. Aber die Armut hat unterschiedliche Gesichter. Wir entbehren Ihren Überfluß, wir entbehren die Freiheit zu wählen. In diesem Land dagegen scheint mir die Armut darin zu bestehen, daß man nicht für sein Überleben kämpfen muß. Für mich hat dieser |105| Kampf eine religiöse Dimension. Ich würde nicht tauschen wollen.«
    Wallander merkte, daß Major Liepa seine Antwort gründlich vorbereitet hatte. Er brauchte nicht erst nach den richtigen Worten zu suchen.
    Aber was hatte er eigentlich gesagt? Schwedische Armut?
    Wallander verspürte das Bedürfnis zu protestieren.
    »Sie haben unrecht, Herr Major«, sagte er. »Auch in diesem Land findet ein Kampf statt. Es gibt viele Menschen, die ausgeschlossen sind – hieß das wirklich
closed from?
– von dem Überfluß, den Sie meinen. Es gibt sicherlich niemanden, der verhungert. Aber Sie haben unrecht, wenn Sie glauben, daß nicht auch wir kämpfen müssen.«
    »Man kann nur kämpfen, um zu überleben«, erwiderte der Major. »Darin beziehe ich den Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit mit ein. Was man darüber hinaus tut, ist etwas, das man freiwillig tut. Nichts, was man tun

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