Wallander 03 - Die weisse Löwin
Lettland.«
Wallander riß erstaunt die Augen auf. Er hatte mit seiner ehemaligen Frau nie über Baiba Liepa gesprochen. »Wie ist denn das möglich?«
»Jemand hat es ihr wohl erzählt.«
»Wer?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Ich frage nur.«
Plötzlich wechselte sie das Gesprächsthema. »Warum bist du hier in Stockholm? Doch wohl nicht nur, um mich zu treffen?«
Er berichtete, was sich ereignet hatte. Ließ alles Revue passieren, was geschehen war, seit sein Vater ihm mitgeteilt hatte, daß er heiraten würde, und Robert Åkerblom in seinem Büro erschienen war und seine Frau als vermißt gemeldet hatte. Sie lauschte aufmerksam, und er hatte zum erstenmal das Gefühl, daß seine Tochter nun ein erwachsener Mensch war. Ein Mensch, |252| der auf vielen Gebieten sicher schon bedeutend größere Erfahrungen hatte als er selbst.
»Mir fehlt jemand, mit dem ich reden kann«, schloß er. »Wenn doch Rydberg noch am Leben wäre. Erinnerst du dich an ihn?«
»War das der, der immer so sauer wirkte?«
»Das war er nicht. Auch wenn er streng wirken konnte.«
»Ich erinnere mich an ihn. Ich habe immer gehofft, du würdest nie so werden wie er.«
Nun war er es, der das Thema wechselte. »Was weißt du über Südafrika?«
»Nicht besonders viel. Daß die Schwarzen fast wie Sklaven behandelt werden. Und daß ich natürlich dagegen bin. An der Volkshochschule hat uns eine schwarze Frau aus Südafrika besucht. Man konnte kaum glauben, daß es wahr sein sollte, was sie berichtete.«
»Du weißt auf alle Fälle mehr als ich. Als ich voriges Jahr in Lettland war, habe ich mich oft gefragt, wie es kommen konnte, daß ich über vierzig Jahre alt geworden bin, ohne etwas über die Welt zu wissen.«
»Du paßt so schlecht auf. Ich erinnere mich, wie es war, als ich zwölf, dreizehn Jahre alt war und versuchte, Fragen zu stellen. Weder du noch Mama habt euch darum gekümmert, was vor unserer Gartentür passierte. Es drehte sich alles um das Haus und die Beete und deine Arbeit. Um nichts anderes. Deshalb habt ihr euch doch getrennt.«
»Deshalb?«
»Ihr hattet das Leben in eine Frage nach Tulpenzwiebeln und neuen Wasserhähnen für das Badezimmer verwandelt. Das war es, was ihr diskutiert habt, wenn ihr überhaupt einmal miteinander gesprochen habt.«
»Es ist wohl nicht verkehrt, über Blumen zu reden.«
»Die Beete wurden so hoch, daß ihr nicht mehr gesehen habt, was draußen passierte.«
Sie beendete das Gespräch abrupt. »Wie lange hast du Zeit?« fragte sie.
»Eine Weile noch auf alle Fälle.«
»Also hast du eigentlich überhaupt keine Zeit. Aber wir können |253| uns ja später am Abend noch einmal treffen, wenn du Lust hast.«
Sie gingen auf die Straße hinaus, wo der Regen inzwischen aufgehört hatte.
»Ist es nicht schwierig, auf so hohen Absätzen zu laufen?« fragte er zaghaft.
»Ja. Aber es geht. Willst du es probieren?«
Wallander merkte, wie froh er war, daß es sie gab. Etwas in ihm wurde leicht. Er sah sie winkend in der U-Bahn verschwinden.
Im selben Augenblick fiel ihm ein, was er in der Wohnung draußen in Hallunda entdeckt und nicht richtig hatte registrieren können.
Nun wußte er, was es gewesen war.
Auf dem kleinen Wandregal hatte ein sehr schöner Aschenbecher gestanden. Einen solchen hatte er vorher schon einmal gesehen. Es konnte ein Zufall sein. Aber das glaubte er nicht.
Er rief sich den Abend ins Gedächtnis, als er in Ystad ins Hotel Continental gegangen war, um zu essen. Er hatte in der Bar gesessen. Vor ihm auf dem Tisch hatte ein Aschenbecher aus Glas gestanden. Genau so einer wie in dem kleinen Zimmer in der Wohnung von Vladimir und Tania.
Konovalenko, dachte er.
Irgendwann hat er das Continental besucht. Vielleicht hat er am selben Tisch gesessen wie ich. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen der schweren Aschenbecher aus Glas mitgehen zu lassen. Eine menschliche Schwäche, eine der gewöhnlichsten. Er konnte sich ja wirklich nicht vorstellen, daß ein Kriminalkommissar aus Ystad einmal einen Blick in einen kleinen Raum in Hallunda werfen würde, wo er ab und zu seine Nächte zubrachte.
Wallander ging hinauf in sein Hotelzimmer und dachte, daß er trotz allem kein völlig unfähiger Polizist war. Noch war ihm die Zeit nicht ganz davongelaufen. Vielleicht war er immer noch imstande, den sinnlosen und brutalen Mord an einer Frau aufzuklären, die in der Nähe von Krageholm nur einmal falsch abgebogen war.
Dann faßte er zusammen, was er zu wissen
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