Wallander 03 - Die weisse Löwin
»Geht das nicht den meisten Polizisten so?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, was ich selbst denke. Und die Gedanken, die mir im Kopf herumgehen, bedrücken mich. Hier in Stockholm sind wir drauf und dran, die Kontrolle zu verlieren. Ich weiß nicht, wie es in einem kleineren Bereich wie Ystad ist. Aber als Verbrecher in dieser Stadt zu leben muß ein ganz behagliches Dasein sein. Zumindest was das Risiko angeht, geschnappt zu werden.«
»Wir haben die Sache noch im Griff. Aber die Unterschiede werden immer geringer. Was hier geschieht, geschieht in Ystad genauso.«
»In Stockholm gibt es viele Polizisten, die sich aufs Land versetzen lassen wollen«, sagte Lovén. »Sie glauben, dort wäre es leichter.«
»Es gibt auch viele, die hierher wollen. Die meinen, auf dem Lande oder in den Kleinstädten sei es zu ruhig.«
»Ich bezweifle, daß ich tauschen könnte.«
»Das geht mir auch so. Entweder ich bin Polizist in Ystad, oder ich bin gar nicht Polizist.«
Das Gespräch brach ab. Nach dem Essen verschwand Lovén, um vieles zu erledigen.
Wallander suchte sich einen Ruheraum und streckte sich auf einem Sofa aus. Ihm fiel ein, daß er eigentlich keine Nacht mehr durchgeschlafen hatte, seit Robert Åkerblom in sein Büro gekommen war.
Er schlummerte für ein paar Minuten ein und wachte mit einem Ruck auf.
Dann blieb er liegen und dachte an Baiba Liepa.
|257| Die Aktion gegen die Wohnung in Hallunda begann Punkt zwei Uhr. Wallander, Lovén und weitere drei Polizisten hielten sich im Treppenhaus auf. Nachdem sie zweimal geklingelt und gewartet hatten, brachen sie die Tür mit einem Brecheisen auf. Im Hintergrund war eine spezielle Einsatzgruppe mit automatischen Waffen postiert. Alle außer Wallander hielten Pistolen in den Händen. Lovén hatte ihn gefragt, ob er eine Waffe haben wolle. Wallander hatte abgelehnt. Eine kugelsichere Weste hatte er dagegen wie die anderen angelegt.
Sie stürmten in die Wohnung, verteilten sich auf die Räume, und alles war vorüber, ehe es richtig begonnen hatte. Die Wohnung war leer. Zurückgeblieben waren nur die Möbel.
Die Polizisten sahen sich fragend an. Dann holte Lovén ein Walkie-talkie hervor und rief den Einsatzleiter vor dem Haus. »Die Wohnung ist leer. Es wird keine Verhaftungen geben. Alle Kräfte können zurückgezogen werden. Statt dessen brauche ich Techniker hier oben, die die Wohnung untersuchen.«
»Sie müssen heute nacht abgehauen sein«, sagte Wallander. »Oder ganz früh am Morgen.«
»Wir kriegen sie«, sagte Lovén. »In einer halben Stunde haben wir landesweiten Alarm.«
Er reichte Wallander ein paar Gummihandschuhe. »Falls du die Matratzen ein wenig auslüften möchtest.«
Während Lovén über sein tragbares Telefon mit der Zentrale auf Kungsholmen sprach, ging Wallander in den kleinen Raum. Er zog die Handschuhe über und hob den Aschenbecher vorsichtig vom Regal. Er hatte sich nicht getäuscht. Es war genau so ein Aschenbecher wie der, auf den er einige Abende zuvor gestarrt hatte, als er viel zuviel Whisky getrunken hatte. Er reichte das Beweisstück einem der Techniker.
»Hier sind sicher Fingerabdrücke drauf«, sagte er. »Vermutlich haben wir sie nicht in unserem Register. Aber vielleicht bei Interpol.«
Er sah zu, wie der Techniker den Aschenbecher in einer Plastiktüte verstaute.
Dann trat er an ein Fenster und schaute abwesend auf die umliegenden Häuser und den grauen Himmel. Er erinnerte sich |258| vage, daß es dasselbe Fenster war, das Tania am vergangenen Tag geöffnet hatte, um den Zigarettenrauch abziehen zu lassen. Ohne richtig zu wissen, ob er nun wegen der mißlungenen Aktion wütend oder niedergeschlagen war, ging er in das große Schlafzimmer hinüber. Er schaute in die Schränke. Die meisten Kleidungsstücke waren noch da. Dagegen konnte er keine Taschen entdecken. Er setzte sich auf eine Bettkante und zog eine Schublade des Nachttisches auf. Darin lagen lediglich eine Garnrolle und eine halbvolle Schachtel Zigaretten. Er sah, daß Tania französische Gitanes rauchte.
Dann bückte er sich und schaute unters Bett. Dort sah er nur ein Paar staubige Pantoffeln. Er ging um das Bett herum und öffnete den anderen Nachttisch. Er war leer. Auf dem Möbelstück stand ein ungeleerter Aschenbecher, daneben lag ein angebissener Schokoladenkeks.
Wallander sah, daß die Kippen von Filterzigaretten stammten. Er nahm sie näher in Augenschein. Es waren Camel.
Plötzlich stutzte er.
Er dachte an den vergangenen Tag zurück.
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