Wallander 03 - Die weisse Löwin
Scheepers war Assistent des gefürchteten Chefanklägers von Johannesburg, und er war es nicht gewohnt, diesen woanders als im Gerichtssaal oder zu den regelmäßig stattfindenden Freitagskonferenzen zu sehen. Als er durch die Gänge eilte, hatte er sich gefragt, was Wervey wohl von ihm wollte. Im Gegensatz zu diesem Abend des Wartens war er sofort zum Staatsanwalt vorgelassen worden. |261| Wervey hatte auf einen Stuhl gewiesen und weiter Schriftstücke unterzeichnet, auf die ein Sekretär wartete. Dann waren sie unter sich.
Henrik Wervey war ein nicht nur von Verbrechern gefürchteter Mann. Er war fast sechzig Jahre alt, über einsneunzig groß und kräftig gebaut. Es war eine wohlbekannte Tatsache, daß er ab und zu Beispiele seiner körperlichen Stärke gab, indem er verschiedene Kraftproben vorführte. Beim Umbau der Anklägerräume vor einigen Jahren hatte er eigenhändig einen Tresor davongetragen, den anschließend zwei Mann mit Mühe auf einen Wagen hoben. Aber es waren nicht seine physischen Kräfte, die ihn so gefürchtet machten. In den vielen Jahren als Staatsanwalt hatte er stets für die Todesstrafe plädiert, wenn er auch nur die geringste Möglichkeit dazu sah. In den Fällen, und das waren nicht wenige, wo das Gericht seinem Antrag gefolgt war und einen Täter zum Tod durch den Strang verurteilt hatte, war Wervey oft auch als Zuschauer bei der Hinrichtung anwesend. Das hatte ihm den Ruf verschafft, ein brutaler Mann zu sein. Keiner hätte jedoch behaupten können, daß er rassenbedingte Unterschiede machte. Ein weißer Verbrecher hatte genausoviel zu fürchten wie ein schwarzer.
Georg Scheepers hatte sich auf den Stuhl gesetzt und sich gefragt, ob er zu irgendeinem Tadel Anlaß gegeben haben könnte. Wervey war ebenfalls bekannt dafür, seinen Assistenten mächtig zuzusetzen, wenn er es für richtig hielt.
Aber das Gespräch verlief ganz andes als erwartet. Wervey hatte den Schreibtisch verlassen und ihm gegenüber Platz genommen.
»Gestern am späten Abend wurde ein Mann in seinem Krankenhausbett in einer Privatklinik in Hillbrow ermordet«, begann er. »Er hieß Pieter van Heerden und arbeitete für den Nachrichtendienst. Die Mordkommission ist der Meinung, daß alles auf einen Raubmord hindeutet. Seine Brieftasche ist verschwunden. Keiner hat jemanden kommen oder verschwinden sehen. Offensichtlich war der Täter allein, und gewisse Zeichen deuten darauf hin, daß er sich als Bote eines Laboratoriums ausgegeben hat, das für Brenthurst arbeitet. Da keine der Nachtschwestern etwas |262| gehört hat, muß der Mörder eine Waffe mit Schalldämpfer verwendet haben. Vieles spricht also dafür, daß die Theorie der Polizei, es sei ein Raubmord, richtig ist. Aber van Heerden arbeitete im Nachrichtendienst, und das muß auch berücksichtigt werden.«
Wervey hob die Augenbrauen, und Georg Scheepers wußte, daß er eine Reaktion erwartete.
»Da stimme ich zu«, sagte Scheepers. »Man muß untersuchen, ob das Ganze ein zufälliger Raubmord war oder nicht.«
»Nun gibt es zusätzlich eine Sache, die das Bild kompliziert«, fuhr Wervey fort. »Und was ich jetzt sage, ist äußerst vertraulich. Das muß klar sein.«
»Ich verstehe.«
»Van Heerden war dafür verantwortlich, Präsident de Klerk außerhalb der offiziellen Kanäle laufend und vertraulich Informationen über die Arbeit des Nachrichtendienstes zu liefern. Er hatte also eine äußerst diffizile Position.«
Wervey verstummte. Scheepers wartete gespannt auf eine Fortsetzung.
»Präsident de Klerk rief mich vor einigen Stunden an. Er wollte, daß ich einen der Staatsanwälte auswähle, der ihn über die Ermittlungen der Polizei gesondert auf dem laufenden hält. Er schien überzeugt zu sein, daß das Motiv für den Mord mit van Heerdens Arbeit im Nachrichtendienst zu tun hat. Ohne über entsprechende Beweise zu verfügen, wies er den Gedanken, es könne sich um einen gewöhnlichen Raubmord handeln, kategorisch zurück.«
Wervey sah Scheepers an. »Wir können ja auch nicht wissen, worüber van Heerden den Präsidenten informiert hat«, sagte er nachdenklich.
Georg Scheepers nickte. Er verstand.
»Ich habe dich ausgewählt, Präsident de Klerk auf dem laufenden zu halten«, fuhr Wervey fort. »Von jetzt an schiebst du alle anderen Arbeiten beiseite und konzentrierst dich ganz auf die Ermittlung im Zusammenhang mit van Heerdens Tod. Verstanden?«
Georg Scheepers nickte. Es fiel ihm schwer, die Tragweite dessen zu ermessen, was Wervey gerade
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