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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Nächte, die er auf dem Friedhof zubrachte, waren voll der Worte
songomas
. Und in diesen Nächten, einzig von all den unbekannten toten weißen Menschen umgeben, die er nie getroffen hatte und erst in der Unterwelt kennenlernen würde, unter den Geistern, erinnerte er sich an seine Kindheit. Er sah das Gesicht seines Vaters, sein Lächeln, hörte seine Stimme. Er überlegte, ob die Welt der Geister vielleicht auf dieselbe Art und Weise geteilt war wie Südafrika. Vielleicht bestand auch die Unterwelt aus einem schwarzen und einem weißen Teil? Er stellte sich betrübt vor, daß sogar die Geister seiner Ahnen gezwungen wurden, in verrauchten, schmutzigen Slumvierteln zu hausen. Er versuchte,
songoma
zum Reden zu bringen. Aber alles, was er zur Antwort bekam, war das Geheul der singenden Hunde, das er nicht zu deuten vermochte.
     
    |268| Im Morgengrauen des zweiten Tages hatte er den Friedhof verlassen, nachdem es ihm gelungen war, den Schlafsack in einem Grabgewölbe zu verstecken. Ein paar Stunden später hatte er ein neues Auto gestohlen. Das Ganze war sehr schnell gegangen, die Gelegenheit hatte sich unverhofft ergeben, und er hatte nicht gezögert. Seine Urteilskraft, sein Reaktionsvermögen war zu ihm zurückgekehrt. Er ging die Straße entlang, als er sah, wie ein Mann aus einem Auto stieg, den Motor laufen ließ und in einem Toreingang verschwand. In der Nähe hielt sich sonst niemand auf. Er erkannte die Automarke, es war ein Ford, ein Typ, den er oft gefahren hatte. Er rutschte hinter das Lenkrad, warf die Aktentasche des Fahrers auf den Fußweg und gab Gas. Bald war er der Stadt entkommen, und er suchte nach einem See, wo er allein sein und nachdenken konnte.
    Er fand keinen See. Aber dafür das Meer. Er dachte jedenfalls, daß es das Meer sein müßte. Er wußte nicht, wie es hieß. Aber er schmeckte Salzwasser. Nicht so salzig, wie er es von den Stränden Durbans oder Port Elizabeths kannte. Konnte es salzhaltige Binnenseen in diesem Land geben? Er kletterte auf ein paar Felsen und ahnte die Unendlichkeit in einer kleinen Lücke im Inselmeer. Die Luft war kühl, und er fröstelte. Aber er blieb stehen, ganz weit draußen auf der äußersten Klippe. Weit bin ich in meinem Leben gekommen, dachte er. Weit, bis hierher. Aber wie soll es weitergehen?
    Wie er es aus seiner Kindheit kannte, hockte er sich nieder und legte ein spiralförmiges Labyrinth aus kleinen Steinen, die aus dem Felsen gebrochen waren. Gleichzeitig versuchte er, sich so tief in sich selbst zurückzuziehen, daß er
songomas
Stimme hören konnte. Aber er schaffte es nicht. Das Rauschen des Meeres war zu stark, seine eigene Konzentration zu schwach. Die Steine, die er zu einem Labyrinth geordnet hatte, halfen ihm nicht. Das machte ihm angst. Denn ohne sein Vermögen, mit den Geistern zu sprechen, würde er bald so geschwächt sein, daß er vielleicht sterben mußte. Er würde Krankheiten nicht mehr abwehren können, seine Gedanken würden ihn verlassen, und sein Körper würde zu einer Schale werden, die bei der geringsten äußeren Berührung zersprang.
    |269| Unruhig kehrte er dem Meer den Rücken und ging zum Wagen zurück. Er versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was am wichtigsten war. Wie hatte ihn Konovalenko so einfach in der Diskothek aufspüren können, in die er auf Anraten einiger Afrikaner aus Uganda geraten war, die er in einer Hamburgerbar kennengelernt hatte?
    Das war die erste Frage.
    Die zweite war, wie er aus dem Land fliehen und nach Südafrika zurückkehren konnte.
    Er erkannte, daß er gezwungen wäre, zu tun, was ihm am meisten widerstrebte, nämlich Konovalenko zu finden. Das würde sehr schwer werden. Konovalenko würde sich so schwer fangen lassen wie eine einsame Antilope in der endlosen afrikanischen Buschlandschaft. Aber irgendwie mußte er Konovalenko zu sich locken. Der hatte den Paß, ihn konnte er zwingen, ihm zu helfen, das Land zu verlassen. Eine andere Möglichkeit schien es nicht zu geben.
    Er hoffte immer noch, niemand außer Konovalenko töten zu müssen.
    An diesem Abend war er wieder in die Diskothek gegangen. Es waren nicht viele Leute da. Er saß an einem Tisch in einer Ecke und trank Bier. Als er mit seinem leeren Glas zum Bartresen kam, um mehr zu bestellen, hatte ihn der glatzköpfige Mann angesprochen. Erst verstand er ihn nicht. Dann begriff er, daß an den vergangenen Tagen zwei Personen unabhängig voneinander dagewesen waren und nach ihm gefragt hatten. Der Beschreibung nach war der erste

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