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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Wächter eskortierte ihn dann zum Parkplatz, wo sein Wagen stand. Als er sich hinter das Lenkrad setzte, waren seine Hände naß von Schweiß.
    Eine Konspiration, dachte er. Eine Verschwörung? Die das ganze Land bedrohen und ins Chaos führen könnte? Sind wir schon so weit? Können wir dem Chaos noch näher kommen, als wir es bereits sind?
    Die Fragen waren nicht zu beantworten. Er startete den Motor. Dann öffnete er das Handschuhfach, wo er eine Pistole aufbewahrte. Er schob das Magazin ein, entsicherte die Waffe und legte sie neben sich auf den Sitz.
    Georg Scheepers fuhr nicht gern nachts Auto. Es war zu unsicher, zu gefährlich. Bewaffnete Räubereien und Überfälle passierten ständig und wurden immer brutaler.
    Dann fuhr er durch die südafrikanische Nacht nach Hause. Pretoria schlief.
    Er hatte viel nachzudenken.

18
    Wann lernte ich die Angst kennen,
songoma
? Wann stand ich zum erstenmal einsam und verlassen der Fratze des Schreckens gegenüber? Wann begriff ich, daß die Furcht in allen Menschen sitzt, unabhängig von Hautfarbe, Alter, Herkunft? Keiner entkommt der Angst, es gibt kein Leben ohne Furcht. Ich kann mich nicht erinnern,
songoma
. Aber ich weiß jetzt, daß es so ist. Ich |266| bin ein Gefangener dieses Landes, wo die Nächte so unbegreiflich kurz sind, wo mich die Dunkelheit nie ganz umschließt. Ich erinnere mich nicht daran, wie es war, als die Angst zum erstenmal zu mir kam,
songoma
. Aber ich werde jetzt daran erinnert, jetzt, da ich eine Öffnung suche, um zu entkommen, weg von hier, heim nach Ntibane.
    Die Tage und Nächte hatten sich zu einer konturlosen Einheit verbunden, deren Teile er nicht mehr deutlich trennen konnte. Victor Mabasha wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, seit er den toten Konovalenko zurückgelassen hatte, in dem abgelegenen Haus zwischen den lehmigen Feldern. Den Mann, der plötzlich auferstanden war und in der tränengasverseuchten Diskothek auf ihn geschossen hatte. Das war ein Schock für ihn gewesen, war er doch überzeugt, Konovalenko mit der Flasche getötet zu haben, die er ihm an die Schläfe geschmettert hatte. Trotz der tränenden Augen hatte er Konovalenko hinter den Rauchschwaden erkannt. Victor Mabasha war über eine Hintertreppe aus dem Lokal gelangt, zusammen mit schreienden und drängelnden Menschen, die in Panik vor dem Gas flohen. Einen Augenblick lang glaubte er sich nach Südafrika zurückversetzt, wo Tränengasüberfälle auf schwarze Wohngegenden nichts Ungewöhnliches waren. Aber er war in Stockholm, und Konovalenko, von den Toten auferstanden, verfolgte ihn, um ihn zu töten.
     
    Er hatte die Stadt im Morgengrauen erreicht und war lange durch die Straßen gefahren, ohne zu wissen, was er tun sollte. Er war sehr müde gewesen, so erschöpft, daß er nicht mehr wagte, seinem eigenen Urteil zu trauen. Das hatte ihm angst gemacht. Früher hatte er immer gedacht, daß sein Urteilsvermögen, die Fähigkeit, sich mit klarem Kopf aus schwierigen Situationen zu manövrieren, seine beste Lebensversicherung sei. Er überlegte, ob er sich in ein Hotel wagen sollte. Aber er hatte keinen Paß, überhaupt kein Dokument, das ihm eine Identität gab. Er war ein Niemand unter all diesen Menschen, ein namenloser Mann mit Waffe, das war alles.
    Der Schmerz in der Hand kehrte in regelmäßigen Intervallen |267| zurück. Er brauchte bald einen Arzt. Das schwarze Blut hatte den Verband durchtränkt, und Infektionen oder Fieber konnte er sich nicht leisten. Das würde ihn ganz und gar schutzlos machen. Aber der blutige Stumpf, der von seinem Finger noch übriggeblieben war, berührte ihn kaum. Es war, als hätte es den Finger nie gegeben. In seinen Gedanken hatte er ihn in einen Traum verwandelt. Er war ohne einen Zeigefinger an der linken Hand geboren worden.
     
    Er hatte auf einem Friedhof geschlafen, in einem Schlafsack, den er gekauft hatte. Trotzdem fror er. In den Träumen wurde er von den singenden Hunden gejagt. Als er wach lag und zu den Sternen hinaufsah, dachte er, daß er vielleicht niemals wieder in sein eigenes Land gelangen würde. Seine Fußsohlen würden vielleicht nie mehr die trockene rote Erde berühren. Der Gedanke machte ihn plötzlich traurig, so traurig, wie er seit dem Tod seines Vaters nicht mehr gewesen war. Er dachte auch daran, daß es in Südafrika, einem Land, das auf eine alles umfassende Lüge gebaut war, selten Platz gab für einfache Unwahrheiten. Er dachte an die Lüge, die das Rückgrat seines eigenen Lebens war.
    Die

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