Wallander 03 - Die weisse Löwin
Blick langsam an der Hauswand entlangwandern. Ein Fenster war erleuchtet, hinter dem er die Küche vermutete. Er konnte nichts Auffälliges bemerken. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, daß Konovalenko schlief. Er war dort, lautlos wartend. Vielleicht lauerte er sogar außerhalb des Hauses.
Sie warteten gespannt, jeder in seiner eigenen Gedankenwelt.
Es war Sten Widén, der Wallander entdeckte. Es war gerade fünf Uhr geworden. Wie sie vermutet hatten, tauchte er auf der |452| Westseite des Hauses auf. Widén, der gute Sicht hatte, glaubte zunächst, ein Hase oder ein Raubtier befände sich zwischen den Büschen. Dann aber wurde er unsicher, und er machte Svedberg durch eine Handbewegung aufmerksam. Wieder holte Svedberg das Fernglas hervor. Zwischen den Zweigen erblickte er Wallanders Gesicht.
Keiner von ihnen wußte, was Wallander geplant hatte. Handelte er so, wie er es mit Konovalenko besprochen hatte? Oder hatte er sich entschieden, einen Versuch zu unternehmen, ihn zu überrumpeln? Und wo war Konovalenko? Und wo Wallanders Tochter?
Sie warteten. Am Haus gab es keine Bewegung. Sten Widén und Svedberg wechselten sich ab, Wallanders regloses Gesicht zu betrachten. Wieder hatte Svedberg das Gefühl, etwas Unvorhergesehenes sei geschehen. Er sah auf die Uhr. Wallander hielt sich nun bereits eine Stunde im Gebüsch versteckt. Im Haus tat sich immer noch nichts.
Plötzlich gab Sten Widén das Fernglas an Svedberg weiter. Wallander war aufgestanden, rannte zum Haus hinüber und preßte sich dort gegen die Wand. In der Hand hielt er eine Pistole. Er hat sich also entschieden, Konovalenko herauszufordern, dachte Svedberg und spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Aber sie konnten nichts anderes tun, als weiter abwarten. Sten Widén hatte das Gewehr an die Wange gelegt und zielte auf die Haustür, der sich Wallander jetzt geduckt näherte, den Fenstern ausweichend. Svedberg konnte sehen, wie er lauschte. Dann probierte er die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen. Ohne zu zögern riß er sie auf und stürmte hinein. Im selben Augenblick krabbelten Sten Widén und Svedberg aus dem Schober.
Sie hatten nichts abgesprochen, sie wußten nur, daß sie Wallander auf den Fersen bleiben mußten. Sie rannten zur Hausecke hinüber und nahmen Deckung. Im Haus war es immer noch still. Svedbergs vage Ahnung wurde plötzlich zur Gewißheit.
Das Haus war verlassen. Dort war niemand.
»Sie haben sich davongemacht«, sagte er zu Sten Widén. »Da ist keiner mehr.«
Sten Widén sah ihn verständnislos an. »Woher weißt du das?«
|453| »Ich weiß es eben«, sagte er und trat aus dem Schutz der Hausecke.
Er rief Wallanders Namen.
Wallander kam die Treppe hinunter. Er schien nicht verwundert, sie zu sehen. »Sie ist weg«, sagte er.
Sie sahen, daß er sehr müde war. Möglicherweise hatte er die Grenze zur totalen Erschöpfung bereits überschritten und konnte jeden Augenblick einen Kollaps bekommen.
Sie gingen ins Haus und versuchten, die Spuren zu deuten. Sten Widén hielt sich als Laie im Hintergrund, während Svedberg und Wallander das Haus durchsuchten. Wallander verlor kein Wort darüber, daß sie ihm zum Hof gefolgt waren. Svedberg ahnte, daß er im Innersten wohl gewußt hatte, daß sie ihn nicht allein lassen würden. Vielleicht war er ihnen im Grunde sogar dankbar?
Es war Svedberg, der Tania fand. Er hatte die Tür zu einem der Schlafzimmer geöffnet und betrachtete das ungemachte Nachtlager. Welcher Impuls ihn steuerte, wußte er nicht, jedenfalls bückte er sich und schaute unter das Bett. Da lag sie. Einen grausamen Augenblick lang glaubte er, Wallanders Tochter vor sich zu haben. Dann sah er, daß es die andere Frau war. Bevor er Wallander und Sten Widén informierte, schaute er schnell unter die anderen Betten. Er schaute in die Kühltruhe und die verschiedenen Schränke. Erst als er sicher war, daß nicht auch Wallanders Tochter irgendwo versteckt lag, zeigte er den anderen, was er entdeckt hatte. Sie schoben das Bett zur Seite. Sten Widén stand im Hintergrund. Als er ihren Kopf sah, wandte er sich ab, lief auf den Hof und erbrach sich.
Sie hatte kein Gesicht mehr. Übrig war lediglich eine blutige Masse, in der keine Details mehr auszumachen waren. Svedberg ging hinaus, holte ein Handtuch und breitete es über ihren Kopf. Dann untersuchte er sie. Er entdeckte fünf Schußwunden, die ein Muster bildeten. Ihm wurde noch schlechter. Ihr war durch beide Füße, beide Hände und schließlich ins Herz
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