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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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würde.
    »Laß uns hineingehen«, sagte Konovalenko.
    »Warte«, beharrte sie. »Ich brauche frische Luft.«
    Ich tu für sie, was ich kann, dachte sie. Jeder Atemzug gibt ihr einen Vorsprung. Für mich jedoch ist es zu spät.
     
    Sie rannte durch die Nacht. Es regnete. Sie wußte nicht, wo sie war, sie lief nur. Ab und zu fiel sie hin; dann sprang sie sofort auf und hastete weiter. Sie gelangte auf ein Feld. Um sie herum flüchteten Hasen in verschiedene Richtungen. Sie fühlte sich, als gehöre sie zu ihnen, als sei sie selbst ein gejagtes Tier. Lehm klebte an ihren Schuhen, bis sie sie abstreifte und auf Strümpfen weiterlief. Der Acker schien kein Ende zu nehmen. Alles verschwand |450| im Nebel. Es gab nur die Hasen und sie. Schließlich erreichte sie einen Weg. Sie war völlig erschöpft. Es war ein Kiesweg, auf dem sie weiterwankte. Die spitzen Steine stachen ihr in die Fußsohlen. Nach einer Weile endete der Schotterweg an einer asphaltierten Straße. Der weiße Mittelstreifen leuchtete ihr entgegen. Sie wußte nicht, in welche Richtung sie gehen sollte. Aber sie ging. Noch schien sie nicht über das nachgedacht zu haben, was geschehen war. Noch war es, als sei das unsichtbare Böse irgendwo hinter ihr. Es war weder Mensch noch Tier, es war eher ein kalter Windhauch, aber er war die ganze Zeit da, und sie lief weiter.
    Dann näherten sich die Scheinwerfer eines Autos. Es war ein Mann, der sein Mädchen besucht hatte. Mitten in der Nacht hatten sie angefangen, sich zu streiten. Er hatte beschlossen, nach Hause zu fahren. Jetzt saß er im Wagen und dachte, daß er sich davonmachen würde, wenn er Geld hätte. Irgendwohin. Weit weg. Die Scheibenwischer kratzten, die Sicht war schlecht. Plötzlich sah er etwas vor dem Auto. Zuerst glaubte er, es wäre ein Tier, und bremste. Dann hielt er an. Er stellte fest, daß es ein Mensch war. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Ein junges Mädchen ohne Schuhe, lehmverschmiert und mit schief abgeschnittenen Haaren, stand vor ihm. Er dachte, daß es vielleicht einen Verkehrsunfall gegeben hatte. Dann sah er, wie sich das Mädchen mitten auf die Straße setzte.
    Langsam stieg er aus dem Auto und ging zu ihr hinüber. »Was ist passiert?« fragte er.
    Sie antwortete nicht.
    Er sah kein Blut, auch kein Auto, das im Nebel von der Straße abgekommen war. Er zog sie hoch und schleppte sie zu seinem Wagen. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten.
    »Was ist denn passiert?« fragte er wieder.
    Aber er bekam keine Antwort.
     
    Viertel vor zwei verließen Sten Widén und Svedberg die Wohnung in Ystad. Es regnete, als sie sich in Svedbergs Wagen setzten. Drei Kilometer außerhalb der Stadt merkte Svedberg, daß einer der hinteren Reifen Luft verlor. Er fuhr rechts ran und |451| hoffte, daß nicht auch noch das Reserverad defekt wäre. Aber es hielt die Luft, als er es gewechselt hatte. Durch die Reifenpanne war ihr Zeitplan durcheinandergeraten. Svedberg war davon ausgegangen, daß Wallander sich dem Haus nähern würde, bevor es zu hell wurde. Deshalb mußten sie rechtzeitig draußen sein, um nicht zu riskieren, mit ihm zusammenzutreffen. Nun war es bereits drei Uhr, als sie den Wagen endlich im Schutz eines dichten Gebüschs, mehr als einen Kilometer von der Kiesgrube und dem Hof entfernt, abstellen konnten. Sie hatten es eilig und hasteten durch den Nebel über einen Acker, der nördlich der Kiesgrube gelegen war. Svedberg hatte vorgeschlagen, daß sie sich so nahe wie möglich am Haus auf die Lauer legen sollten. Da sie jedoch nicht wußten, aus welcher Richtung Wallander kommen würde, mußten sie ebenso darauf achten, daß sie von den Seiten her nicht entdeckt werden konnten. Sie hatten versucht, sich vorzustellen, von wo Wallander sich dem Hof nähern würde. Beide glaubten, daß er von Westen kommen würde. Dort war das Gelände hügelig, dort wuchs hohes und dichtes Buschwerk bis an die Grundstücksgrenze heran. Davon ausgehend beschlossen sie, sich selbst von Osten her anzuschleichen. Svedberg hatte sich gemerkt, daß es auf einem schmalen Feldrain zwischen zwei Ackerflächen einen Heuschober gab.
    Wenn nötig, mußten sie sich im Stroh vergraben. Um halb vier waren sie zur Stelle. Beide hatten ihre geladenen Waffen bei sich.
    Vor ihnen war das Haus undeutlich im Nebel zu erkennen. Alles war ruhig. Ohne erklären zu können warum, hatte Svedberg ein Gefühl, daß etwas Unvorhergesehenes geschehen war. Er holte sein Fernglas hervor, säuberte die Linse und ließ den

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