Wallander 05 - Die falsche Fährte
weltumspannenden polizeilichen Zusammenarbeit angeschlossen waren, gesehen worden sei. Nicht bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Das war alles.
»Sie verschwindet in einer Stadt mit Namen Santiago«, sagte Wallander. »Ein gutes halbes Jahr später taucht sie im Rapsfeld des Bauern Salomonsson auf und verbrennt sich selbst. Was steckt dahinter?«
Martinsson schüttelte resigniert den Kopf.
Wallander war so müde, daß er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte, doch er riß sich noch einmal zusammen. Martinssons Passivität irritierte ihn. »Wir wissen eine ganze Menge«, sagte er energisch. »Zum Beispiel ist sie nicht vom Erdboden verschluckt worden. Sie war in Helsingborg und ist von einem Mann aus Smedstorp im Auto mitgenommen worden. Wir wissen außerdem, daß sie den Eindruck machte, auf der Flucht zu sein. Und jetzt ist sie tot. Das teilen wir Interpol folglich mit. Und ich möchte, daß du ausdrücklich verlangst, daß der Vater des Mädchens auch wirklich von ihrem Tod in Kenntnis gesetzt wird. Wenn diese andere Scheiße vorbei ist, werden wir herausfinden, vor wem sie in Helsingborg solche Angst hatte. Ich gehe davon aus, daß du schon jetzt mit den Kollegen in Helsingborg Kontakt aufnimmst, am besten gleich morgen früh. Vielleicht haben die ja eine Idee, was passiert sein kann.«
Nach diesem gedämpften Ausbruch des Aufbegehrens gegen Martinssons Passivität war Wallander nach Hause gefahren. Er hatte an einem Imbißstand gehalten und einen Hamburger mitgenommen. Überall hingen die Aushänger der Zeitungen mit schreienden Neuigkeiten von der Fußball-Weltmeisterschaft. Er verspürte plötzlich den Impuls, sie alle herunterzureißen und zu rufen, es sei jetzt genug. Aber natürlich sagte er nichts. Geduldig wartete er in der Schlange, bis er an der Reihe war. Er bezahlte, |258| bekam seinen Hamburger und stieg wieder in den Wagen. Zu Hause setzte er sich an den Küchentisch und riß die Tüte auf. Zu dem Hamburger trank er ein Glas Wasser. Danach machte er sich einen starken Kaffee und wischte den Küchentisch sauber. Obwohl er dringend Schlaf brauchte, zwang er sich, das gesamte Ermittlungsmaterial noch einmal durchzusehen. Das Gefühl, auf der falschen Fährte zu sein, hatte ihn nicht verlassen. Wallander hatte zwar nicht allein den Kurs bestimmt, dem sie folgten. Doch er war derjenige, der die Arbeit der Ermittlungsgruppe leitete, und das bedeutete, daß er die Richtung vorgab und entschied, wann der Punkt gekommen war, innezuhalten und die Richtung zu wechseln. Er suchte nach den Punkten auf ihrem bisherigen Weg, an denen sie sich vielleicht langsamer und aufmerksamer hätten bewegen und sich fragen sollen, ob die Berührungspunkte zwischen Wetterstedt und Carlman nicht bereits, von ihnen unbemerkt, offen zutage lagen. Sorgfältig ging er noch einmal sämtliche Anzeichen für die Anwesenheit des Täters durch, die sie hatten verfolgen können, manchmal mit handfesten Beweisen, manchmal nur wie ein kalter Windhauch, der ihnen unerwartet in den Nacken blies. Auf einem Kollegblock notierte er sich alle Fragen, die noch nicht beantwortet waren. Es ärgerte ihn, wie viele Ergebnisse von Laboruntersuchungen noch immer fehlten. Um kurz nach Mitternacht war er versucht, Nyberg anzurufen und zu fragen, ob die Analytiker und Chemiker in Linköping den Sommer über ihren Laden dichtgemacht hätten. Aber er war klug genug, es zu unterlassen. Er saß über seine Papiere gebeugt, bis sein Rücken schmerzte und die Buchstaben ihm vor den Augen tanzten. Erst um halb drei in der Nacht gab er auf. In seinem müden Gehirn war eine Lagebeschreibung entstanden, die trotz allem bekräftigte, daß sie kaum eine andere Wahl hatten, als den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen. Es mußte ganz einfach einen Berührungspunkt zwischen den skalpierten Toten geben. Die Tatsache, daß Björn Fredman so schlecht zu den beiden anderen paßte, konnte ihnen vielleicht dabei helfen, die Lösung zu finden. Das, was nicht stimmte, wies sie vielleicht wie ein spiegelverkehrtes Gesicht auf das hin, was wirklich stimmte, was richtig war und was falsch. Sie würden mit anderen |259| Worten weitermachen wie bisher. Er hatte nicht viele Möglichkeiten, doch dann und wann würde Wallander Kundschafter aussenden, die das sie umgebende Terrain untersuchten. Er würde darauf achten, daß es eine ordentliche Nachhut gab, und vor allem würde er sich selbst zwingen, mehr als einen Gedanken gleichzeitig zu verfolgen.
Als er schließlich ins
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