Wallander 05 - Die falsche Fährte
»Hansson war erleichtert«, sagte er.
Wallander nickte. Aber er schwieg.
»Martinsson zufolge ist eine ausführliche Antwort von Interpol über das Mädchen im Rapsfeld eingetroffen«, fuhr er fort.
Wallander hatte nicht zugehört. Er mußte Svedberg bitten zu wiederholen, was er gesagt hatte. Ihm kam es vor, als gehöre das Mädchen, das er wie eine brennende Fackel hatte laufen sehen, einer weit entlegenen Vergangenheit an. Dennoch wußte er, daß er sich früher oder später wieder mit ihr befassen mußte.
»Ich fühle mich nicht wohl in Malmö«, sagte Svedberg plötzlich. »Eigentlich fühle ich mich nur zu Hause in Ystad wirklich wohl.«
Wallander wußte, wie ungern Svedberg die Stadt, in der er einst geboren worden war, verließ. Im Präsidium war das ein bis zum Überdruß strapaziertes Thema für Scherze, wenn Svedberg nicht in der Nähe war. Gleichzeitig fragte sich Wallander, wann er selbst sich eigentlich wohl fühlte.
Er erinnerte sich jedoch an das letzte Mal. Als Linda am Sonntagmorgen um sieben vor seiner Tür gestanden hatte.
Forsfält hatte ein paar Dinge erledigt und sagte, sie könnten jetzt fahren. Sie nahmen den Aufzug in die Tiefgarage des Polizeigebäudes und fuhren hinaus zu einem nördlich der Stadt gelegenen Gewerbegebiet. Es war windig geworden. Der Himmel war noch immer wolkenlos. Wallander saß auf dem Beifahrersitz neben Forsfält.
»Kanntest du Rydberg?« fragte er.
»Und ob ich ihn kannte«, antwortete Forsfält langsam. »Aber |251| klar. Wir kannten uns gut. Er kam manchmal nach Malmö und hat mich besucht.«
Wallander wunderte sich über diese Antwort. Er hatte Rydberg immer für einen alten Polizeibeamten gehalten, der schon lange alles abgeschrieben hatte, was nicht mit seinem Beruf zusammenhing, Freunde eingeschlossen.
»Er hat mir alles beigebracht, was ich kann«, sagte er.
»Sein Tod war tragisch«, sagte Forsfält. »Er hätte noch ein bißchen leben sollen. Er hat davon geträumt, einmal in seinem Leben nach Island zu kommen.«
»Island?«
Forsfält warf ihm einen raschen Blick zu und nickte. »Das war sein großer Traum. Nach Island zu fahren. Aber es wurde nie etwas daraus.«
Wallander wurde von einem unklaren Gefühl befallen, daß Rydberg ihm etwas vorenthalten hatte, was er hätte wissen sollen. Er hatte nicht geahnt, daß Rydberg den Traum von einer Pilgerfahrt nach Island hegte, sich nie vorgestellt, daß Rydberg überhaupt Träume haben könnte. Vor allem hatte er nie die Möglichkeit erwogen, Rydberg könnte Geheimnisse vor ihm haben.
Forsfält bremste vor einem zweistöckigen Haus. Er zeigte auf eine Fensterreihe mit vorgezogenen Gardinen im Erdgeschoß. Das Haus war alt und in schlechtem Zustand. Die Glasscheibe der Haustür war mit einer Masonitplatte ausgebessert worden. Wallander hatte das Gefühl, ein Haus zu betreten, das eigentlich nicht mehr existierte. Stand nicht die Existenz dieses Hauses in direktem Widerspruch zum schwedischen Grundgesetz? dachte er ironisch. Im Treppenhaus roch es nach Urin. Forsfält schloß auf. Wallander fragte sich, woher er den Schlüssel haben mochte. Sie traten in einen Flur und machten Licht. Auf dem Fußboden lagen nur ein paar Reklamebroschüren. Weil Wallander sich auf fremdem Territorium befand, ließ er Forsfält vorangehen. Sie gingen zunächst einmal durch die ganze Wohnung, um sicher zu sein, daß niemand da war. Die Wohnung bestand aus drei Zimmern und einer kleinen engen Küche, deren Fenster zu einem Lager mit Benzinfässern hinausging. Abgesehen von dem Bett, das neu wirkte, war die Wohnung von Gleichgültigkeit geprägt. Die Möbel |252| schienen wie zufällig über die Räume verstreut. In einem Bücherregal aus den fünfziger Jahren standen ein paar billige und verstaubte Porzellanfiguren. In einer Ecke lagen ein Zeitungsstapel und Hanteln. Eine CD, die jemand mit Kaffee bekleckert hatte, lag auf einem Sofa. Wallander las zu seiner großen Verwunderung auf dem Etikett etwas von türkischer Volksmusik. Forsfält ging durch die Zimmer und machte systematisch alle vorhandenen Lampen an. Wallander folgte ihm mit einigen Schritten Abstand, während Svedberg sich auf einen Küchenstuhl setzte und Hansson anrief, um ihm mitzuteilen, wo sie sich befanden. Wallander zog mit dem Fuß die Speisekammertür auf. Darin stand eine Anzahl ungeöffneter Originalkartons mit Grant’s Whisky. Aus einem schmutzigen Frachtbegleitschein ging hervor, daß sie von der Destillerie in Schottland für einen Weinhändler
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