Wallander 05 - Die falsche Fährte
»Es sieht aus wie das Auto an jenem Morgen. Aber ob es genau dieses war, kann ich nicht sagen. Auf die Nummernschilder habe ich nicht geachtet.«
Wallander nickte.
»Das verlange ich auch nicht«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich Sie bitten mußte, herzukommen.«
Ann-Britt Höglund hatte vorsichtshalber Norén mitgebracht, der jetzt den Auftrag bekam, Sara Björklund nach Ystad zurückzufahren. Sie selbst wollte bleiben.
|359| Es war noch früh am Morgen. Dennoch schien bereits das ganze Land zu wissen, was geschehen war. Sjösten hielt auf der Straße eine improvisierte Pressekonferenz ab, während Wallander und Ann-Britt Höglund zum Fährterminal hinunterfuhren und frühstückten.
Er gab ihr einen knappen Überblick über das, was geschehen war.
»Åke Liljegren tauchte damals in unseren Ermittlungen im Fall Alfred Harderberg auf«, sagte sie anschließend. »Erinnerst du dich?«
Wallander versetzte sich in Gedanken in das letzte Jahr zurück. Er dachte mit Unbehagen an den berühmten Geschäftsmann und Kunstmäzen, der hinter den Mauern von Farnholms Schloß gelebt hatte und den sie am Ende in einer dramatischen Aktion auf dem Flugplatz Sturup am Verlassen des Landes hindern konnten. Åke Liljegrens Name war im Verlauf der Ermittlung aufgetaucht, allerdings nur am Rande. Es war nicht einmal zu einer Vernehmung gekommen.
Wallander saß vor seiner dritten Tasse Kaffee und schaute auf den Sund hinaus, auf dem es an diesem Sommermorgen von Segelbooten und Fähren nur so wimmelte. »Wir wollten es nicht, aber jetzt haben wir es doch bekommen«, sagte er. »Noch einen toten und skalpierten Mann. Ekholm zufolge sind wir jetzt an der magischen Grenze angelangt, wo unsere Möglichkeiten, den Täter zu identifizieren, entscheidend zugenommen haben. Alles laut Modellen des FBI, die mit Sicherheit von großer Bedeutung sind. Jetzt sollten wir noch klarer aufzeigen können, was ähnlich ist und was sich unterscheidet.«
»Mir kommt es so vor, als sei er etwas grober geworden«, sagte sie zögernd. »Wenn man bei Axthieben und Skalpieren überhaupt eine Gradeinteilung vornehmen kann.«
Wallander wartete gespannt auf eine Fortsetzung. Ihr Zögern war häufig ein Anzeichen dafür, daß sie einem wichtigen Gedanken auf die Spur gekommen war.
»Wetterstedt lag unter einem Ruderboot«, fuhr sie fort. »Sein Skalp war abgeschnitten. Als habe unser Mann sich Zeit genommen, sorgfältig zu sein. Oder war es vielleicht Unsicherheit? Es |360| war schließlich der erste Skalp. Carlman wurde direkt von vorne getötet. Er muß den Mann gesehen haben. Sein Haar wurde abgerissen, nicht abgeschnitten. Man kann sich Wut vorstellen oder Verachtung, oder vielleicht eine fast unkontrollierte Raserei. Dann kommt Björn Fredman. Er lag wahrscheinlich auf dem Rücken. Vermutlich gefesselt. Sonst hätte er Widerstand geleistet. Er bekam Säure in die Augen. Der Täter muß ihm mit Gewalt die Augen aufgesperrt haben. Der Schlag auf den Kopf wurde mit ungeheurer Wucht geführt. Und jetzt Liljegren. Sein Kopf wird in den Backofen gesteckt. Ich sehe da eine Steigerung von etwas. Ist es Haß? Oder die unbegreifliche Lust eines Kranken, seine Macht zu demonstrieren?«
»Geh zu Ekholm und wiederhole, was du jetzt gesagt hast. Er soll das in seinen Computer eingeben. Ich stimme dir zu. Es sind gewisse Veränderungen in seinem Verhalten zu erkennen. Etwas ist in Bewegung gekommen. Aber was sagt uns das? Es kommt mir manchmal so vor, als versuchten wir, Fußspuren zu deuten, die Millionen Jahre alt sind. Wie in vulkanischer Asche erstarrte Fußabdrücke ausgestorbener Tiere. Am meisten grübele ich über die Chronologie nach. Sie beruht darauf, daß wir die Opfer in einer bestimmten Reihenfolge gefunden haben, weil sie in einer bestimmten Reihenfolge getötet wurden. Da entsteht für uns eine natürliche Chronologie. Die Frage ist nur, ob es noch eine andere Ordnung zwischen ihnen gibt, die wir nicht verstehen. Ist einer von ihnen vielleicht wichtiger als die anderen?«
Sie dachte nach. »Stand einer von ihnen ihm näher als die anderen?«
»Genau«, sagte Wallander. »Befindet sich Liljegren näher an einem Zentrum als Carlman? Und wer befindet sich an der Peripherie? Oder haben alle das gleiche Verhältnis zum Täter?«
»Ein Verhältnis, das außerdem vielleicht nur in seinem verwirrten Bewußtsein existiert?«
Wallander schob seine leere Kaffeetasse von sich. »Das einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, daß diese Männer
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