Wallander 05 - Die falsche Fährte
dem Reichskriminalamt in Stockholm konferiert.
»Es wäre falsch zu behaupten, die Lage hätte sich aufgrund dessen, was hier in diesem Haus passiert ist, ernstlich verändert«, begann er. »Sie war schon dramatisch genug, als wir einsehen mußten, daß wir es mit einem Serienmörder zu tun haben. Möglicherweise kann man aber sagen, daß wir eine Art Grenze passiert haben. Es deutet nichts mehr darauf hin, daß diese Mordserie abbricht. Wir können es höchstens hoffen. Das Reichskriminalamt ist bereit, uns die Unterstützung zu geben, die wir benötigen und anfordern. Die formale Seite dessen, daß wir jetzt eine Ermittlungsgruppe bilden müssen, die teils über die Grenzen verschiedener Polizeibezirke hinausgeht, teils Personal aus Stockholm umfaßt, dürfte eigentlich auch keine größeren Probleme aufwerfen. Ich nehme an, keiner hier hat etwas dagegen einzuwenden, daß Kurt die Leitung der neuen Ermittlungsgruppe übernimmt?«
Keiner erhob Einwände. Sjösten nickte zustimmend von seiner Seite des Eßtischs.
»Kurt genießt einen gewissen Ruf«, fuhr Hansson fort ohne die geringste Andeutung, eine Zweideutigkeit auszusprechen. »Der Chef des Reichskriminalamts hielt es für selbstverständlich, Kurt weiterhin die Ermittlung leiten zu lassen.«
»Ich stimme dem zu«, sagte der Polizeidirektor von Helsingborg. Es blieben seine einzigen Worte während der gesamten Besprechung.
»Es gibt klare Richtlinien, wie eine solche Zusammenarbeit in der kürzestmöglichen Zeit beginnen kann«, erklärte Hansson weiter. »Die Staatsanwälte haben ihre eigenen Bereitschaftsprozeduren für solche Fälle. Das Wichtigste im Augenblick ist zu präzisieren, welche Art von Hilfe wir eigentlich von Stockholm benötigen.«
Wallander hatte Hanssons Worten mit einem Gemisch aus Stolz und Unruhe zugehört. Sein Selbstbewußtsein sagte ihm |366| gleichzeitig, daß kaum ein anderer als er selbst geeigneter sein konnte, die Ermittlung zu leiten.
»Ist etwas mit dieser Mordserie Vergleichbares in Schweden eigentlich schon einmal vorgekommen?« fragte Sjösten.
»Ekholm zufolge nicht«, antwortete Wallander.
»Es wäre natürlich gut, Kollegen dabei zu haben, die sich mit diesem Typ von Verbrechen auskennen«, meinte Sjösten.
»Die müßten wir schon vom Kontinent oder aus den USA holen«, erwiderte Wallander. »Und daran glaube ich nicht so recht. Wir brauchen aber natürlich einen erfahrenen Mordermittler, der unsere allgemeine Kapazität erhöhen kann.«
Nach weniger als zwanzig Minuten hatten sie die nötigen Beschlüsse gefaßt. Danach verließ Wallander eilig den Raum und suchte Ekholm. Er fand ihn im Obergeschoß vor dem Badezimmer. Wallander zog ihn mit sich in ein Gästezimmer, das den Eindruck machte, als sei es lange nicht benutzt worden. Wallander öffnete das Fenster, um die abgestandene Luft hinauszulassen. Dann setzte er sich auf die Bettkante und erzählte Ekholm von den Gedanken, die er sich zuvor gemacht hatte.
»Natürlich könntest du recht haben«, sagte Ekholm. »Ein psychisch gestörter Mensch, der in die Rolle eines einsamen Kriegers schlüpft. Dafür gibt es in der Kriminalgeschichte zahlreiche Beispiele. Allerdings nicht in Schweden. Solche Menschen verwandeln sich in einen anderen, bevor sie ausziehen, um Rache zu üben, was das gewöhnlichste Motiv ist. Die Verkleidung befreit sie von Schuld. Ein Schauspieler kennt keine Gewissensbisse wegen der Handlungen, die seine Rollenfigur begeht. Aber man darf auch nicht die Kategorie von Psychopathen vergessen, die aus keinem anderen Motiv töten als aus reiner Lust.«
»Das ist in diesem Fall aber nicht sehr wahrscheinlich«, sagte Wallander.
»Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Rolle, die sich ein Mörder aussucht, wenn wir uns zum Beispiel einen Indianer vorstellen, nicht notwendigerweise etwas über sein Motiv aussagt. Es braucht nicht einmal eine äußere Übereinstimmung zu existieren. Stellen wir uns vor, du hast recht mit deinem barfüßigen Krieger. Er hat seine Rolle aus uns unbekannten Gründen gewählt. Ebensogut |367| hätte er sich in einen japanischen Samurai oder einen
tonton macoute
aus Haiti verwandeln können. Die Gründe für die Wahl kennt allein er selbst.«
Wallander erinnerte sich an eines der ersten Gespräche, das er mit Ekholm geführt hatte.
»Dann hätten uns die Skalpe möglicherweise auf eine falsche Fährte gelockt«, sagte er. »Sie wären nur ritueller Bestandteil der von ihm gewählten Rolle. Das Trophäensammeln
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