Wallander 05 - Die falsche Fährte
recht, wenn er sagte, der Täter fordere die Polizei heraus? Wallander bog nach Sturup ab und überlegte, ob er zum Flugplatz fahren sollte. Aber was konnte er dort eigentlich ausrichten? |391| Wichtiger war das Gespräch, das ihn in Helsingborg erwartete. Er bog in Richtung Lund ab und fragte sich, was es wohl für eine Frau sein mochte, die Sjösten für ihn gefunden hatte.
Sie hieß Elisabeth Carlén. Sie saß Wallander in dem Zimmer im Polizeipräsidium von Helsingborg gegenüber, das normalerweise von Kriminalinspektor Waldemar Sjösten benutzt wurde. Es war vier Uhr geworden, und die Frau, die Anfang Dreißig war, hatte eben das Zimmer betreten. Wallander hatte ihr die Hand gegeben und sich insgeheim an die Pastorin erinnert gefühlt, die er eine Woche vorher in Smedstorp kennengelernt hatte. Vielleicht nur, weil sie in Schwarz gekleidet und stark geschminkt war? Er hatte sie gebeten, sich zu setzen, und gleichzeitig gedacht, wie ausgesprochen treffend Sjösten sie beschrieben hatte. Sjösten hatte gesagt, sie sei gerade deshalb attraktiv, weil sie ihre Umwelt stets mit einem kalten und abweisenden Gesichtsausdruck betrachtete. Wallander kam es vor, als habe sie beschlossen, alle Männer, die in ihre Nähe kamen, herauszufordern. Er hatte noch nie einen Blick wie den ihren gesehen. Er drückte zur gleichen Zeit Verachtung und Interesse aus. Während sie sich eine Zigarette anzündete, repetierte Wallander insgeheim rasch noch einmal ihre Geschichte. Sjösten war vorbildlich knapp und präzise gewesen.
»Elisabeth Carlén ist eine Hure«, hatte er gesagt. »Es ist fraglich, ob sie seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr je etwas anderes war. Sie hat die Grundschule besucht und danach auf einer der Öresund-Fähren als Kellnerin gearbeitet. Als sie das satt bekam, versuchte sie, zusammen mit einer Freundin einen Laden aufzumachen. Das war ein Reinfall. Sie hatte geliehenes Geld investiert, für das ihre Eltern gebürgt hatten. Sie überwarf sich mit ihren Eltern und führte eine Zeitlang ein ziemlich unstetes Leben. Eine Zeitlang Kopenhagen, dann Amsterdam. Mit siebzehn wurde sie als Kurier mit einer Partie Amphetamin erwischt. Sie hat es wohl auch selbst benutzt, schien es aber unter Kontrolle zu haben. Damals habe ich sie zum erstenmal getroffen. Danach verschwand sie für ein paar Jahre von der Bildfläche, schwarze Löcher, über die ich nichts Näheres weiß. Aber plötzlich taucht sie wieder in Malmö |392| auf, und zwar in einem sehr geschickt getarnten Bordellgefilz.«
An diesem Punkt hatte Wallander Sjöstens Darlegung unterbrochen. »Gibt es immer noch Bordelle?« fragte er verblüfft.
»Dann eben Hurenhäuser«, sagte Sjösten. »Nenn sie, wie du willst. Aber klar gibt es die. Habt ihr keine in Ystad? Warte nur ab, das kommt.«
Wallander fragte nicht weiter nach. Sjösten nahm seinen Faden wieder auf.
»Natürlich war sie nie auf der Straße. Sie etablierte sich zu Hause. Schuf sich einen Kreis exklusiver Kunden. Sie hatte offenbar etwas, das sie attraktiv machte und ihren Marktwert in schwindelnde Höhen trieb. Sie tauchte nicht einmal in den Kleinanzeigen gewisser pornografischer Zeitschriften auf. Du kannst sie ja fragen, was sie so speziell macht. Wäre ja interessant zu wissen. In diesen letzten Jahren verkehrt sie in Kreisen, die auch Åke Liljegren dann und wann tangierten. Sie wird mit einigen seiner Direktoren in Restaurants gesehen. Stockholm wird auf sie aufmerksam, weil sie bei einer Reihe nicht besonders erfreulicher Anlässe ins Bild kommt, als die Polizei Gründe hat, sich für den Mann oder die Männer zu interessieren, an deren Arm sie gerade geht. Das ist in aller Kürze Elisabeth Carlén. Eine recht erfolgreiche schwedische Prostituierte.«
»Warum hast du sie ausgewählt?«
»Sie ist in Ordnung. Ich habe mich oft mit ihr unterhalten. Sie ist nicht ängstlich. Wenn ich ihr sage, daß kein Verdacht gegen sie besteht, glaubt sie mir. Außerdem hat sie den Selbsterhaltungstrieb einer Hure. Damit meine ich, sie hat die Augen offen, sieht dies und das. Polizisten mag sie nicht. Und eine gute Methode, von uns unbehelligt zu bleiben, ist, sich mit Leuten wie dir und mir gut zu stellen.«
Wallander hatte seine Jacke aufgehängt und ein paar Aktenstapel auf dem Tisch beiseite geschoben. Elisabeth Carlén rauchte. Sie verfolgte jede seiner Bewegungen. Wallander dachte an einen wachsamen Vogel.
|393| »Sie wissen ja schon, daß Sie nicht unter irgendeinem Verdacht stehen«, begann
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