Wallander 05 - Die falsche Fährte
Kaffee«, sagte Wallander.
»Lieber nicht«, sagte Nyberg. »Ich will hier so schnell wie möglich fertig werden. Morgen früh kämmen wir noch einmal das ganze Feld durch. Weil kein Verbrechen vorliegt, kann das bis dahin warten.«
Wallander kehrte in die Küche zurück. Er legte den Plastikbeutel mit dem Schmuck auf den Tisch. »Jetzt haben wir etwas, wonach wir gehen können. Einen Schmuck in Form eines Madonnenbildes. Mit einer Buchstabeninschrift: D. M. S. Ich schlage vor, daß ihr jetzt nach Hause fahrt. Ich bleibe noch eine Weile hier.«
»Wir sehen uns also morgen früh um neun«, sagte Hansson und stand auf.
»Ich frage mich, wer sie wohl war«, sagte Martinsson. »Obwohl kein Verbrechen vorliegt, ist es trotzdem wie ein Mord. Als hätte sie sich selbst ermordet.«
Wallander nickte. »Sich selbst zu ermorden und Selbstmord zu begehen ist nicht immer ein und dasselbe. Meinst du das?«
»Ja«, sagte Martinsson. »Aber das hat natürlich nichts zu bedeuten. Der schwedische Sommer ist zu kurz und zu schön, als daß so etwas hier passieren müßte.«
|50| Sie trennten sich auf dem Hofplatz. Ann-Britt Höglund blieb noch einen Moment zurück. »Ich bin dankbar dafür, daß ich es nicht zu sehen brauchte«, sagte sie. »Ich glaube, ich weiß, wie du dich fühlst.«
Wallander antwortete nicht. »Wir sehen uns morgen«, sagte er.
Als die Wagen verschwunden waren, setzte er sich auf die Haustreppe. Die Scheinwerfer beleuchteten eine wüste Bühne, auf der ein Schauspiel stattfand, dessen einziger Zuschauer er war.
Wind war aufgekommen. Noch immer warteten sie auf die sommerliche Wärme. Die Luft war kalt. Wallander fröstelte. Er sehnte sich intensiv nach der Wärme. Hoffte, daß sie bald käme.
Nach einer Weile stand er auf, ging ins Haus und wusch die Kaffeetassen ab, die sie benutzt hatten.
|51| 4
Wallander fuhr im Schlaf zusammen. Er spürte, daß jemand sich anschickte, ihm den Fuß abzureißen. Als er die Augen aufschlug, sah er, daß er mit dem Fuß zwischen dem Bettgiebel am Fußende und dem kaputten Bettgestell festhing. Er mußte sich auf die Seite drehen, um sich zu befreien. Hinterher lag er vollkommen still. Das erste Dämmerlicht drang durch die nachlässig heruntergezogene Jalousie herein. Die Zeiger seiner Nachttischuhr standen auf halb fünf. Er hatte nur wenige Stunden geschlafen und war sehr müde. Wieder befand er sich draußen im Rapsfeld. Es kam ihm vor, als könne er das Mädchen jetzt viel deutlicher sehen. Sie hatte keine Angst vor
mir
, dachte er. Weder vor mir noch vor Salomonsson hat sie sich versteckt. Es war jemand anders.
Er stand auf und schleppte sich in die Küche. Während er darauf wartete, daß der Kaffee durchlief, ging er in das unaufgeräumte Wohnzimmer und sah nach dem Anrufbeantworter. Das rote Licht blinkte. Er drückte auf den Abspielknopf. Zuerst sprach seine Schwester Kristina zu ihm: »Ich möchte, daß du mich anrufst. Am besten in den nächsten Tagen.« Wallander dachte sogleich, daß der Anruf mit ihrem alten Vater zu tun hatte. Obwohl er inzwischen mit seiner Pflegerin verheiratet war und nicht mehr allein lebte, war er immer noch launisch, und seine Stimmungen waren unberechenbar. Danach kam eine durch Nebengeräusche schwer verständliche Anfrage von
Skånska Dagbladet
, ob er an einem Abonnement interessiert sei. Er wollte gerade in die Küche zurückgehen, als noch eine Mitteilung kam. »Hier ist Baiba, ich fahre ein paar Tage nach Tallinn. Am Samstag bin ich zurück.« Sofort wurde er von heftiger Eifersucht befallen, die er nicht zu kontrollieren vermochte. Warum wollte sie nach Tallinn? Sie hatte nichts davon erwähnt, als sie zuletzt miteinander gesprochen hatten. Er ging in die Küche, goß sich eine Tasse Kaffee ein und rief |52| dann in Riga an, obwohl er wußte, daß sie sicher noch schlief. Doch das Klingeln blieb unbeantwortet. Er rief noch einmal an, mit dem gleichen Ergebnis. Seine Unruhe nahm zu. Sie konnte kaum um fünf Uhr morgens nach Tallinn gefahren sein. Warum war sie nicht zu Hause? Oder, wenn sie zu Hause war, warum nahm sie nicht ab? Er öffnete die Tür des Balkons, der auf die Mariagatan hinausging, und setzte sich mit der Kaffeetasse auf den einzigen Stuhl, der dort draußen Platz hatte. Wieder lief das Mädchen durch das Rapsfeld. Einen kurzen Augenblick fand er, daß sie Baiba ähnelte. Er zwang sich zu denken, daß seine Eifersucht unangemessen war. Er hatte nicht einmal ein Recht dazu, weil sie sich beide darauf
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