Wallander 05 - Die falsche Fährte
kaum aushalten, wenn sie nicht gleichzeitig das Fernsehen und das Telefon kontrollieren. Er blätterte die Telefonbücher durch, ohne irgendwelche privaten Notizen zu finden. Dann zog er vorsichtig zwei Schubladen eines Sekretärs auf, der hinter dem Telefontisch stand. In der einen lag ein Briefmarkenalbum, in der anderen waren Klebstofftuben und eine Schachtel mit Serviettenringen. Als er auf dem Weg ins Arbeitszimmer war, klingelte das Telefon. Er fuhr zusammen. Ann-Britt Höglund tauchte sofort in der Tür auf. Wallander setzte sich vorsichtig in eine Ecke des Sofas und nahm den Hörer ab.
»Hallo«, sagte eine Frau. »Gustaf? Warum rufst du nicht an?«
»Wer spricht da?« fragte Wallander.
Die Stimme der Frau wurde plötzlich sehr bestimmt. »Hier ist Gustaf Wetterstedts Mutter«, sagte sie. »Mit wem spreche ich?«
»Mein Name ist Kurt Wallander. Ich bin Polizeibeamter hier in Ystad.«
Er konnte die Frau atmen hören. Sie mußte sehr alt sein, wenn sie Wetterstedts Mutter war. Er schnitt eine Grimasse zu Ann-Britt Höglund hinüber, die ihn ansah.
»Ist etwas passiert?« fragte die Frau.
Wallander wußte nicht, wie er reagieren sollte. Es widersprach allen geschriebenen und ungeschriebenen Bestimmungen, einen nahen Angehörigen am Telefon von einem plötzlichen Todesfall in Kenntnis zu setzen. Gleichzeitig hatte er bereits gesagt, daß er Polizist war.
»Hallo?« fragte die Frau. »Sind Sie noch da?«
Wallander antwortete nicht. Hilflos starrte er Ann-Britt Höglund an.
Dann tat er etwas, von dem er später nie sagen konnte, ob es zu verantworten war oder nicht.
Er legte den Hörer auf.
»Wer war das?« fragte Ann-Britt Höglund.
Wallander schüttelte nur den Kopf, ohne zu antworten.
Dann nahm er den Hörer wieder ab und rief das Polizeipräsidium in Stockholm an.
|83| 7
Kurz nach neun Uhr klingelte Gustaf Wetterstedts Telefon erneut. Da hatten die Kollegen in Stockholm auf Wallanders Veranlassung Wetterstedts Mutter die Nachricht vom Tod ihres Sohns überbracht. Der Anrufende stellte sich als Kriminalinspektor Hans Vikander von der Polizeistation Östermalm vor.
»Sie ist unterrichtet«, sagte er. »Weil sie so alt ist, habe ich einen Pastor mitgenommen. Aber ich muß sagen, daß sie es trotz ihrer vierundneunzig Jahre mit Fassung aufgenommen hat.«
»Vielleicht gerade deshalb«, meinte Wallander.
»Wir versuchen, Wetterstedts zwei Kinder zu erreichen«, fuhr Hans Vikander fort. »Der Sohn arbeitet bei der UNO in New York. Die Tochter ist jünger und wohnt in Uppsala. Wir nehmen an, daß wir sie im Laufe des Abends erreichen.«
»Und seine geschiedene Frau?« sagte Wallander.
»Welche von ihnen?« fragte Vikander. »Er war dreimal verheiratet.«
»Dann alle drei. Wir nehmen später selbst Kontakt zu ihnen auf.«
»Ich hab was, das dich vielleicht interessiert«, fuhr Vikander fort. »Als wir mit der Mutter sprachen, erzählte sie, daß ihr Sohn jeden Abend anrief, pünktlich um neun Uhr.«
Wallander blickte auf seine Uhr. Es war drei Minuten nach neun.
»Er hat gestern nicht angerufen«, sagte Vikander. »Sie wartete bis halb zehn, dann rief sie selbst an. Aber es nahm niemand ab, obwohl sie sagte, sie hätte es mindestens fünfzehnmal läuten lassen.«
»Und den Abend davor?«
»Daran konnte sie sich nicht mit Bestimmtheit erinnern. Sie ist immerhin vierundneunzig. Sie sagte, ihr Kurzzeitgedächtnis sei ziemlich schlecht.«
|84| »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
»Es war ein bißchen schwer für mich zu wissen, wonach ich fragen sollte.«
»Wir werden noch einmal mit ihr sprechen müssen«, sagte Wallander. »Weil sie dich schon kennt, wäre es gut, wenn du das übernehmen könntest.«
»Ich gehe in der zweiten Juliwoche in Urlaub«, antwortete Hans Vikander. »Aber bis dahin ist es kein Problem.«
Als Wallander das Gespräch beendete, kam Ann-Britt Höglund in den Flur, nachdem sie beim Briefkasten gewesen war.
»Zeitungen von gestern und heute«, sagte sie. »Eine Telefonrechnung. Keine private Post. Er kann nicht besonders lange unter dem Boot da gelegen haben.«
Wallander erhob sich vom Sofa. »Geh das Haus noch einmal durch«, sagte er. »Achte darauf, ob du Hinweise finden kannst, daß etwas gestohlen wurde. Ich gehe runter und seh ihn mir an.«
Als Wallander im strömenden Regen durch den Garten lief, fiel ihm ein, daß er seinen Vater hätte besuchen sollen. Mit einer Grimasse kehrte er zum Haus zurück. »Tu mir einen Gefallen«, sagte er zu Ann-Britt Höglund,
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