Wallander 05 - Die falsche Fährte
umgedreht?«
Göran Lindgren überlegte. »Vor mehr als einer Woche.«
Wallander hatte keine weiteren Fragen. Er stand ganz still und dachte nach. Dann ging er in einem weiten Bogen hinauf zu Wetterstedts Haus. Die Gartenpforte war verschlossen. Er winkte Göran Lindgren zu sich. »Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Nein. Ich wohne in Åkesholm. Mein Wagen steht oben an der Straße.«
»Trotzdem wußten Sie, daß Wetterstedt in genau diesem Haus wohnte?«
»Er ging immer hier am Strand spazieren. Manchmal blieb er stehen und sah zu, wenn mein Vater und ich am Boot arbeiteten. Aber gesagt hat er nie etwas. Er machte ein bißchen auf vornehm, glaube ich.«
»War er verheiratet?«
»Mein Vater hat gesagt, er sei geschieden. Das hat er in einer Zeitschrift gelesen.«
|76| Wallander nickte. »Gut«, sagte er. »Haben Sie kein Regenzeug in der Plastiktüte?«
»Das habe ich oben im Wagen.«
»Dann können Sie es holen. Haben Sie außer der Polizei sonst noch jemand angerufen?«
»Ich hatte vor, meinen Vater anzurufen. Es ist doch sein Boot.«
»Lassen Sie das erst mal«, sagte Wallander. »Lassen Sie das Telefon hier, holen Sie Ihr Regenzeug, und kommen Sie zurück.«
Göran Lindgren tat, was ihm gesagt wurde. Wallander ging zum Boot zurück. Er blieb davor stehen und versuchte sich vorzustellen, was geschehen war. Der erste Eindruck eines Tatorts war oft entscheidend. Später, während einer zumeist langwierigen Ermittlung, würde er immer wieder zu diesem ersten Eindruck zurückkehren.
Bestimmte Dinge konnte er bereits jetzt konstatieren. Es war ausgeschlossen, daß Wetterstedt unter dem Boot ermordet worden war. Er war dorthin gelegt worden. Versteckt worden. Da Wetterstedts Haus ganz in der Nähe lag, sprach vieles dafür, daß er dort getötet worden war. Außerdem sagte sich Wallander, daß der Täter nicht allein gewesen sein konnte. Sie mußten das Boot angehoben haben, um den Körper drunterzubekommen. Und es war ein Boot vom alten Typ, ein geklinkertes Holzboot. Es war schwer.
Dann dachte Wallander an die abgerissene Kopfhaut. Was für ein Wort hatte Martinsson gebraucht? Göran Lindgren hatte am Telefon gesagt, der Mann sei skalpiert worden. Wallander überlegte, ob es nicht auch andere Gründe für die Verletzungen am Kopf geben konnte. Sie wußten noch nicht, wie Wetterstedt gestorben war. Es war eine abwegige Vorstellung, daß jemand ihm vorsätzlich die Kopfhaut abgerissen haben sollte.
Dennoch gab es eine Unstimmigkeit in dem Bild. Wallander verspürte ein Unwohlsein. Die abgerissene Kopfhaut beunruhigte ihn.
Im gleichen Augenblick trafen nacheinander die Polizeiautos ein. Martinsson hatte klugerweise veranlaßt, daß keine Sirenen und kein Blaulicht eingeschaltet wurden. Wallander trat zehn Meter vom Boot zurück, damit sie den Sand nicht unnötig zertrampelten.
|77| »Unter dem Boot liegt ein Toter«, sagte er, als die Polizisten sich um ihn versammelt hatten. »Vermutlich ist es Gustaf Wetterstedt, der vor zig Jahren unser oberster Vorgesetzter war. Diejenigen, die so alt sind wie ich, erinnern sich jedenfalls an die Zeit, als er Justizminister war. Er lebte hier als Pensionär. Und jetzt ist er tot. Wir müssen davon ausgehen, daß er ermordet worden ist. Wir sperren als erstes ab.«
»Ein Glück, daß das Spiel nicht heute nacht stattfindet«, sagte Martinsson.
»Der das hier getan hat, interessiert sich vielleicht auch für Fußball«, entgegnete Wallander.
Es irritierte ihn, ständig an die Weltmeisterschaft erinnert zu werden. Aber er vermied es, Martinsson das merken zu lassen.
»Nyberg ist unterwegs«, sagte Martinsson.
»Wir werden hier die ganze Nacht zu tun haben«, sagte Wallander. »Also fangen wir am besten gleich an.«
Svedberg und Ann-Britt Höglund waren in einem der ersten Wagen. Kurz danach tauchte auch Hansson auf. Göran Lindgren war in einem gelben Regenanzug zurückgekommen. Er mußte wiederholen, wie er den Toten gefunden hatte, während Svedberg Notizen machte. Da es inzwischen heftig regnete, stellten sie sich in den Schutz eines Baums auf einer Düne. Wallander bat Lindgren, noch zu warten. Weil er das Boot noch nicht umdrehen wollte, hatte der hinzugerufene Arzt eine Vertiefung im Sand graben müssen, um so weit unter das Boot zu gelangen, daß er feststellen konnte, daß Wetterstedt wirklich tot war.
»Er soll geschieden sein«, sagte Wallander. »Aber wir brauchen eine Bestätigung. Ein paar von euch müssen hierbleiben. Ann-Britt und ich gehen in sein
Weitere Kostenlose Bücher