Wallander 05 - Die falsche Fährte
zu bewegen. Aber er hatte nur einen kurzen Spaziergang im Sinn.«
»Warum?«
»Die Holzschuhe. Alt und ausgelatscht. Unbequem. Aber passend für einen kurzen Aufenthalt im Freien.«
»Und weiter?«
»Es geschah am Abend. Was hat der Arzt über die Zeit gesagt?«
»Er wußte es noch nicht. Mach weiter. Warum am Abend?«
»Das Risiko, entdeckt zu werden, ist am Tag zu groß. In dieser Jahreszeit ist der Strand nie ganz leer.«
»Und weiter?«
»Es gibt kein offensichtliches Motiv. Aber ich glaube, man kann ahnen, daß der Mörder einen Plan hatte.«
»Warum?«
»Er nimmt sich Zeit, die Leiche zu verstecken.«
»Warum tut er das?«
»Um die Entdeckung zu verzögern. Weil er Zeit haben will zu entkommen.«
»Aber niemand hat ihn gesehen. Und warum sagst du, daß es ein Er ist?«
»Eine Frau schlägt kaum jemandem das Rückgrat durch. Eine verzweifelte Frau kann ihrem Mann eine Axt in den Kopf schlagen. Aber sie skalpiert ihn nicht. Es war ein Mann.«
»Was wissen wir von dem Mörder?«
»Nichts. Wenn du nicht etwas weißt, was ich nicht weiß.«
Wallander schüttelte den Kopf. »Du hast ungefähr alles gesagt, was wir wissen«, sagte er. »Ich glaube, wir sollten jetzt Nyberg und seinen Leuten das Haus überlassen.«
»Die Sache hier wird einen Riesenwirbel auslösen«, sagte sie.
|92| »Ja«, antwortete Wallander. »Morgen geht es los. Du kannst froh sein, daß du in Urlaub gehst.«
»Hansson hat mich schon gefragt, ob ich ihn verschieben kann. Und ich habe ja gesagt.«
»Fahr jetzt nach Hause«, meinte Wallander. »Ich werde den anderen sagen, daß wir uns morgen früh schon um sieben Uhr treffen, um die weitere Ermittlung zu planen.«
Als Wallander allein im Haus war, ging er noch einmal durch alle Zimmer. Sie mußten sich so schnell wie möglich ein Bild von Gustaf Wetterstedt machen. Sie kannten eine seiner Gewohnheiten, nämlich daß er jeden Abend zu einer bestimmten Uhrzeit seine Mutter angerufen hatte. Aber was war mit den Gewohnheiten, die sie nicht kannten? Wallander ging in die Küche zurück und suchte in einer der Küchenschubladen ein Stück Papier. Dann machte er sich eine Liste von Stichworten für die einleitende Sitzung der Ermittlungsgruppe am folgenden Tag. Ein paar Minuten später kam Nyberg herein. Er zog seinen triefenden Regenanzug aus. »Wonach sollen wir suchen?« fragte er.
»Nach einem Tatort, den es nicht gibt«, antwortete Wallander. »Ich will ausschließen können, daß er hier im Haus getötet worden ist. Ich möchte, daß du das Haus untersuchst, wie du es immer tust.«
Nyberg nickte und verließ die Küche. Kurz danach hörte Wallander, wie er mit einem seiner Mitarbeiter meckerte. Wallander dachte, daß er nach Hause gehen und ein paar Stunden schlafen sollte. Dann beschloß er, noch einen Rundgang durchs ganze Haus zu machen. Er begann mit dem Keller. Nach einer Stunde befand er sich im Obergeschoß. Er trat in Wetterstedts großes Schlafzimmer. Öffnete den Kleiderschrank, zog die Anzüge auseinander und suchte auf dem Boden. Aus dem Untergeschoß konnte er Nybergs gereizte Stimme hören. Als er den Kleiderschrank gerade wieder schließen wollte, sah er eine kleine Tasche in einer Ecke. Er nahm sie, setzte sich auf die Bettkante und öffnete sie. Ein Fotoapparat war darin. Wallander vermutete, daß es kein besonders teurer war. Er war ungefähr von dem Typ wie der, den Linda sich vor einem Jahr gekauft hatte, und es war ein Film darin. Sechs Bilder von 36 waren belichtet. Er steckte den Apparat wieder in die Tasche und |93| ging zu Nyberg hinunter. »In dieser Tasche ist ein Fotoapparat«, sagte er. »Ich möchte, daß du die Bilder so schnell wie möglich entwickelst.«
Gegen Mitternacht verließ er Wetterstedts Haus. Der starke Regen hielt noch immer an.
Er fuhr auf direktem Weg nach Hause.
Als er in seine Wohnung kam, setzte er sich in die Küche. Er fragte sich, was wohl auf den Bildern zu sehen wäre.
Der Regen schlug an die Fensterscheiben.
Plötzlich spürte er eine schleichende Angst.
Etwas war geschehen. Aber er ahnte jetzt, daß es nur der Anfang von etwas viel Größerem war.
|94| 8
Am Donnerstagmorgen, es war der 23. Juni, herrschte alles andere als Mittsommerstimmung im Polizeipräsidium von Ystad. Wallander war schon um halb drei in der Nacht von einem Journalisten von
Dagens Nyheter
geweckt worden, der von der Polizei auf Östermalm einen Tip wegen Gustaf Wetterstedts Tod bekommen hatte. Als es ihm endlich gelungen war, wieder
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