Wallander 06 - Die fünfte Frau
Besprechung herausgekommen war. Da er in Gedanken ständig zu der Frage zurückkehrte, was an jenem Wintertag vor zehn Jahren auf dem See bei Älmhult geschehen war, beschloß er, seiner Intuition zu folgen. Nach dem Essen rief er im Hotel Sekelgården an. Bo Runfelt war in seinem Zimmer. Wallander bat die Frau in der Rezeption, dem Gast mitzuteilen, daß er um kurz nach zwei komme. Dann fuhr er zum Präsidium. Er nahm Hansson und Martinsson mit in sein Zimmer und bat Hansson, in Svenstavik anzurufen.
»Was soll ich eigentlich fragen?«
»Komm direkt zur Sache. Warum hat Holger Eriksson diese einzige Ausnahme in seinem Testament gemacht? Warum will er ausgerechnet dieser Gemeinde Geld geben? Und wenn dir jemand mit Schweigepflicht kommt, dann sag ihnen, daß wir die Auskunft brauchen, um zu verhindern, daß noch mehr Morde dieser Art passieren.«
»Soll ich wirklich fragen, ob er Sündenvergebung sucht?«
Wallander bekam einen Lachanfall. »Fast«, sagte er. »Finde heraus, was du kannst. Ich fahre mit Bo Runfelt nach Älmhult. Bitte Ebba, ein Hotelzimmer in Älmhult zu buchen.«
Martinsson wirkte skeptisch. »Was willst du eigentlich rausfinden, indem du einen See betrachtest?« fragte er.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Wallander aufrichtig. »Aber die Reise gibt mir zumindest Gelegenheit, ausführlich mit Bo Runfelt zu sprechen. Ich habe das bestimmte Gefühl, daß sich dort Informationen verbergen, die wichtig für uns sind und die wir erkennen können, wenn wir nur hartnäckig genug sind. Wir müssen so fest kratzen, daß wir durch die Oberfläche dringen. Außerdem müßte es dort jemanden geben, der in der Nähe war, als das |255| Unglück geschah. Leistet ein wenig Fußarbeit. Ruft die Kollegen in Älmhult an. Ein Unglücksfall vor zehn Jahren. Das exakte Datum könnt ihr von der Tochter bekommen, die Basketballtrainerin ist. Eine Frau, die ertrunken ist. Ich melde mich, wenn ich da bin.«
Der Wind war noch immer böig, als Wallander zu seinem Wagen ging. Er fuhr zum Sekelgården und betrat die Rezeption. Bo Runfelt saß in einem Stuhl und wartete auf ihn.
»Holen Sie Ihren Mantel«, sagte Wallander. »Wir machen einen Ausflug.«
Bo Runfelt betrachtete ihn abwartend: »Wohin fahren wir?«
»Das erzähle ich Ihnen im Auto.«
Kurz darauf verließen sie Ystad.
Erst als sie die Ausfahrt nach Höör hinter sich hatten, erklärte Wallander, wohin sie fuhren.
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Nachdem sie Höör passiert hatten, begann es zu regnen. Schon da kamen Wallander Zweifel an dem ganzen Unternehmen. War diese Fahrt nach Älmhult wirklich der Mühe wert? Was erwartete er eigentlich davon? Was könnte Bedeutung für die Ermittlung in ihrem Mordfall haben? Der vage Verdacht, daß etwas faul war an einem Unglück, bei dem vor zehn Jahren jemand ertrunken war?
Die Lösung würde er nicht finden. Aber vielleicht käme er wenigstens einen Schritt weiter.
Als er Bo Runfelt erzählte, wohin sie fuhren, reagierte der irritiert und fragte, ob das ein Witz sein solle. Was hatte der tragische Tod seiner Mutter mit dem Mord an seinem Vater zu tun? Wallander fuhr hinter einem Lastzug, der so viel Schmutz an seine Windschutzscheibe schleuderte, daß er nicht überholen konnte. Erst als es ihm gelungen war, auf einem der seltenen doppelspurigen Streckenabschnitte den Laster hinter sich zu lassen, antwortete er. »Ihre Schwester und Sie sprechen ungern über das, was geschehen ist. Auf eine Weise kann ich das natürlich verstehen. Man erinnert sich nicht gern an ein tragisches Unglück. Aber ich kann einfach nicht glauben, daß es die Tragik des Geschehens ist, die Sie beide davon abhält, darüber zu reden. Wenn Sie mir hier und jetzt eine zufriedenstellende Erklärung geben, kehren wir auf der Stelle um. Und vergessen Sie nicht, daß Sie selbst es waren, der von der Brutalität Ihres Vaters erzählt hat.«
»Damit habe ich schon die Antwort gegeben«, sagte Bo Runfelt.
Wallander bemerkte eine leichte Veränderung in seiner Stimme. Ein Zug von Ermüdung, eine Verteidigungshaltung, die aufzuweichen begann.
Er näherte sich mit vorsichtigen Fragen, während sie durch die |257| einförmige Landschaft fuhren. »Ihre Mutter hatte also davon gesprochen, sich das Leben nehmen zu wollen?«
Es dauerte etwas, bis der Mann an seiner Seite antwortete.
»Eigentlich ist es komisch, daß sie es nicht schon getan hatte. Ich glaube nicht, daß Sie sich vorstellen können, in was für einem Inferno sie leben mußte. Nicht Sie, nicht ich.
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