Wallander 06 - Die fünfte Frau
Niemand.«
»Warum ließ sie sich nicht scheiden?«
»Er drohte damit, sie zu erschlagen, wenn sie ihn verließe. Und sie hatte allen Grund, ihm zu glauben. Mehrere Male mißhandelte er sie so, daß sie ins Krankenhaus mußte. Ich wußte damals nichts. Aber es ist mir nachher klargeworden.«
»Wenn Ärzte den Verdacht auf Mißhandlung haben, ist es ihre Pflicht, es der Polizei zu melden.«
»Sie hatte stets gute Erklärungen. Und sie war überzeugend. Es machte ihr auch nichts aus, sich selbst zu erniedrigen, wenn sie ihn schützte. Sie sagte, sie sei betrunken gewesen und gefallen. Meine Mutter trank nie Alkohol. Aber das wußten ja die Ärzte nicht.«
Das Gespräch stockte, während Wallander einen Bus überholte. Er merkte, daß Runfelt sich verspannte. Wallander fuhr nicht schnell. Aber sein Beifahrer hatte offenbar Angst.
»Ich glaube, was sie davon abhielt, Selbstmord zu begehen, waren wir Kinder«, sagte er, als der Bus hinter ihnen lag.
»Das ist natürlich«, sagte Wallander. »Aber lassen Sie uns lieber auf das zurückkommen, was Sie eben gesagt haben. Daß Ihr Vater Ihre Mutter bedrohte. Wenn ein Mann eine Frau mißhandelt, hat er meistens nicht die Absicht, sie zu töten. Er will sie unter Kontrolle behalten. Manchmal schlägt er zu fest zu, und die Mißhandlung führt zum Tod, obwohl es nicht beabsichtigt war. Aber wirklich jemanden zu töten, das hat meistens einen anderen Grund. Das ist ein Schritt weiter.«
Bo Runfelt überraschte ihn mit einer Frage. »Sind Sie verheiratet?«
»Nicht mehr.«
»Haben Sie sie geschlagen?«
»Warum hätte ich das tun sollen?«
»Ich frage mich nur.«
|258| »Wir reden ja wohl nicht von mir.«
Bo Runfelt verstummte. Es war, als wolle er Wallander Zeit geben, nachzudenken, und dieser erinnerte sich mit erschreckender Deutlichkeit an das eine Mal in seiner Ehe, als er Mona in sinnloser und unkontrollierter Wut geschlagen hatte. Sie war mit dem Nacken gegen einen Türpfosten geprallt und hatte für einige Sekunden das Bewußtsein verloren. Damals hätte nicht viel gefehlt, daß sie ihre Taschen gepackt hätte und gegangen wäre. Aber Linda war noch sehr klein. Und Wallander hatte gebettelt und gefleht. Sie hatten den ganzen Abend und die ganze Nacht miteinander geredet. Er hatte an sie appelliert. Schließlich war sie geblieben. Das Ereignis hatte sich in seiner Erinnerung festgefressen. Aber er konnte sich kaum noch daran erinnern, was das Ganze ausgelöst hatte. Worüber hatten sie sich gestritten? Woher war seine Wut gekommen? Er sah ein, daß er es verdrängt hatte. Zu sehr schämte er sich dessen, was damals passiert war. Er verstand seinen Unwillen, daran erinnert zu werden, nur zu gut.
»Kehren wir zurück zu dem Tag vor zehn Jahren«, sagte Wallander nach einer Weile. »Was passierte?«
»Es war ein Sonntag im Winter«, sagte Bo Runfelt. »Anfang Februar. Der 5. Februar 1984. Ein kalter und schöner Wintertag. Sie machten häufig Sonntagsausflüge. Waldspaziergänge. Und Strandwanderungen. Oder sie gingen auf zugefrorenen Seen.«
»Das hört sich sehr idyllisch an«, sagte Wallander. »Wie soll ich das mit dem vereinbaren, was Sie vorher gesagt haben?«
»Es war natürlich keine Idylle. Es war genau das Gegenteil. Meine Mutter war ständig in Panik. Ich übertreibe nicht. Sie hatte schon lange die Grenze überschritten, wo die Angst die Oberhand gewonnen hat und das ganze Leben beherrscht. Sie muß seelisch ausgelaugt gewesen sein. Aber wenn er einen Sonntagsspaziergang machen wollte, dann machten sie einen. Ich bin überzeugt davon, daß mein Vater ihre panische Angst nie wahrnahm. Er dachte wahrscheinlich nach jedem Mal, daß alles vergessen und vergeben wäre. Ich nehme an, daß er die Mißhandlungen als momentane Entgleisungen ansah. Kaum als mehr.«
»Ich glaube, ich verstehe. Was geschah also?«
»Warum sie an dem Sonntag nach Småland gefahren sind, |259| weiß ich nicht. Sie hatten den Wagen auf einem Waldweg abgestellt. Es war Schnee gefallen, aber er war nicht besonders hoch. Dann gingen sie den Forstweg entlang und kamen an den See. Sie gingen aufs Eis. Plötzlich gab es nach, und sie brach ein. Er konnte sie nicht rausziehen. Dann lief er zurück zum Auto und fuhr, um Hilfe zu holen. Sie war natürlich tot, als sie sie fanden.«
»Wie haben Sie davon erfahren?«
»Er rief selbst an. Ich war damals in Stockholm.«
»Können Sie sich an etwas erinnern von diesem Gespräch?«
»Er war natürlich sehr erschüttert.«
»Auf
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